Kreml: Absturz war Anschlag

SINAI Während Ägypten keine Beweise für ein Attentat auf das abgestürzte Flugzeug sieht, verspricht Moskau 50 Millionen Dollar für Hinweise, die zu den Tätern führen

Ägyptische Soldaten auf dem Sinai sammeln Gepäckstücke der getöteten Passagiere ein Foto: ap

AUS MOSKAU Klaus-Helge Donath

Kremlchef Wladimir Putin hat es gewagt. Nach zweieinhalb Wochen hartnäckiger Dementis rückte Moskau nun doch mit der Unglücksursache des Airbusses 321 heraus. Die Passagiermaschine war Ende Oktober auf dem Weg von Scharm al-Scheich am Roten Meer nach Sankt Petersburg über dem Sinai abgestürzt. Alle 224 Insassen kamen dabei ums Leben.

Alexander Bortnikow, Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, teilte am Dienstag mit, dass eine selbst gebastelte Sprengladung von 1,5 Kilogramm TNT in dem Airbus der Fluggesellschaft Kogalymavia platziert worden sei, die das Flugzeug zum Absturz gebracht habe. „Ich kann sicher sagen, dass es ein Terrorakt war“, meinte Bortnikow in Moskau. Demgegenüber hieß es bei der von Ägypten geführten Untersuchungskommission, es gebe bisher noch keine Beweise für eine Bombe an Bord.

Das Flugzeug war 23 Minuten nach dem Start in Scharm al-Scheich in der Luft auseinandergebrochen, ohne dass die Mannschaft noch ein Notsignal senden konnte. Britische und amerikanische Geheimdienstquellen gingen schon kurz danach von einem Terroranschlag als Unglücksursache aus. Der britische Premierminister David Cameron soll bereits am 5. November Wladimir Putin Material übergeben haben, aus dem Londons Ermittler schon früh auf einen Terroranschlag schlossen. Der Kreml blieb dennoch offiziell bei der auch von Ägypten favorisierten Version eines technischen Defekts, stellte aber umgehend den Flugverkehr nach Ägypten ein. Spätestens jetzt stand fest, dass der Kreml im Bilde war.

Die Miliz „Islamischer Staat“ (IS) hatte bereits kurz nach der Katastrophe Verantwortung für den Absturz ­übernommen. Der IS stellte ihn als Vergeltungsschlag für Russlands Luftangriffe in Syrien dar. Moskau passte diese Version jedoch nicht ins Konzept. Denn der Kreml präsentierte sich im heimischen Fernsehen als militärisch-technologische Supermacht mit der Fähigkeit zu aseptischer Kriegsführung. Als dann ein Flieger ohne Feindberührung vom Himmel fiel, fürchtete der Kreml, die Untergebenen könnten ihn zur Rechenschaft ziehen. Grundlos, wie sich herausstellte. Niemand wies darauf hin, dass die herrschende Sicherheitselite es versäumt hatte, vor dem Kriegseinstieg die Sicherheit umliegender Flughäfen zu prüfen.

Ohne die Attentate von Paris hätte der Kremlchef nicht gestanden

Der russische Präsident drohte den Tätern, Russland werde sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen. Nicht das erste Mal sei es von „einem barbarisch terroristischen Akt“ heimgesucht worden. „Wir werden sie überall auf der Welt finden und bestrafen“, sagte Putin und wies den Generalstab an, Luftangriffe auf terroristische Ziele in Syrien zu verstärken. 50 Millionen Dollar zahlt der FSB als Belohnung für Hinweise, die zu den Tätern führen. Putin rief die internationale Gemeinschaft – „alle Partner“– dazu auf, Russland bei der Suche nach den Terroristen zu unterstützen. Wer will da schon Nein sagen?

Ohne die Attentate von Paris hätte der Kremlchef nicht gestanden. Geschickt nutzt er den Windschatten des Pariser Terrors, um der eigenen Bevölkerung die Wahrheit zuzuraunen und dem Westen überraschend zu bedeuten: Wir sitzen doch alle in einem Boot. Die europäische Dimension des Terrors erleichtert dies.