Rieke Havertz darüber, was Frankreich aus 9/11 lernen kann
: Von der Angst Getriebene

Das Leben von US-Bürgern ist nach 9/11 nicht sicherer geworden. Nur weniger frei

Wer in den Tagen nach den Anschlägen in Paris auf die USA und ihren Umgang mit Terror blickt, muss genau hinschauen. Die Vereinigten Staaten handelten nach den 9/11-Anschlägen beispiellos. Beispiellos in der Konsequenz, diesem Terror mit allen politischen und militärischen Mitteln zu begegnen.

Der Kongress verabschiedete ohne größere Debatten 48 Gesetze und Resolutionen. Unter ihnen den berüchtigten Patriot Act, in dessen Namen die Grenzen der Überwachung und der Macht des Staates, in die Privatsphäre der BürgerInnen einzugreifen, nachhaltig verschoben wurden.

Neben tödlichen, politisch fatalen und teuren Kriegen im Irak und in Afghanistan wurden die US-Geheimdienste und andere Behörden mit Milliardenbudgets ausgestattet. Sicherheit, Terrorbekämpfung und Patriotismus waren und sind die Schlagworte, mit denen diese Maßnahmen gerechtfertigt werden.

Natürlich gibt es keine absolute Sicherheit; auch die USA wurden nach 9/11 erneut zum Ziel eines Anschlags, als 2013 eine Bombe beim Boston Marathon gezündet wurde. Die Angst, die sich Stück für Stück breitgemacht hat und bis heute immanent ist, ist eine, die die innere Haltung vieler Amerikaner verändert hat. NSA-Skandal mit Desastern für Datenschutz und Privatsphäre? Wenn es hilft, einen nächsten Anschlag zu verändern, wird das gerne akzeptiert.

Frankreich hat nach den Pariser Anschlägen nicht nur rhetorisch mit – „Wir sind im Krieg“ – reagiert. Am Sonntag flog das Militär seine bislang schwersten Luftangriffe gegen Stellungen des IS. Doch eine militärische Antwort, so viel ist seit Monaten klar, wird den IS allein nicht besiegen.

Das vermeintlich Kleine, das gesellschaftlich Alltägliche, darf nicht aus dem Blickfeld geraten. Die AmerikanerInnen haben sich treiben lassen von der Rhetorik vieler Politiker. Aber auch von ihrer eigenen Paranoia. Sicherer ist ihr Leben dadurch nicht geworden. Nur weniger frei.

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