Müller fordert CDU zur Flucht auf

Parlament II Die Flüchtlingspolitik der CDU ist nicht mehr tragbar, sagt der Regierende

„Wer sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlt – das ist in Ordnung. Aber er sollte dann nicht im Weg stehen, sondern Platz machen.“ Meint der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in seinen Worten zur Flüchtlingspolitik damit Sozialsenator Mario Czaja? Oder dessen Parteifreund und CDU-Landeschef Frank Henkel, der für das Innenressort verantwortlich ist? Der Blick auf der Pressetribüne geht zur Senatssprecherin, die es wissen müsste. Doch die sagt nur: „Das bleibt Ihrer Interpretation überlassen“.

Ohne Namen zu nennen, hat sich Müller vorher abgegrenzt von denen, die „sich besoffen reden am Instrument der Abschiebung“ – Henkel hat in den vergangenen Wochen stets Bestrebungen der Bundes-CDU in diese Richtung unterstützt. Czaja musste sich anhören, dass die Zustände am Landesamt für Gesundheit und Soziales, für das er zuständig ist, weiterhin „inakzeptabel“ sind. Und Czaja musste diese Angriffe am Donnerstag allein aushalten. Denn Henkel war zum halbjährlichen Ministertreffen mit seinen Ressortkollegen aus den anderen Bundesländern nach Köln gefahren. Und das noch nicht einmal für seinen zentralen Bereich Inneres, sondern als Sportsenator. In Köln sah die Tagesordnung unter anderem Leistungssportreform und Dopingprävention vor – alles Themen, bei denen sich Henkel vom zuständigen Staatssekretär hätte vertreten lassen können.

Henkel sei doch für eine Rede gar nicht vorgesehen gewesen, heißt es aus der Nähe des Innensenators. Und dass der Regierende Bürgermeister auch schon mal – und das wegen Urlaubs – zwar nicht eine Parlaments-, aber eine Ministerpräsidentenkonferenz verpasst habe.

Für Udo Wolf, den Linksfraktionschef, sind Müllers Worte klar auf Czaja gemünzt: Der Regierungschef habe dem Sozialsenator „eine Rücktrittsaufforderung erster Klasse unterbreitet“. In Czajas Umfeld zeigt man sich überrascht von Müllers Attacke. Für diese Reaktion gibt es durchaus Grund: Vor gut eineinhalb Monaten hatte Müller bei einer gemeinsamen Pressekonferenz noch die Zusammenarbeit mit Czaja betont. Man sei „in enger Abstimmung“, sagte er damals.

Die Reaktion der CDU fällt verhalten aus. „Schwach“ sei es von Müller gewesen, so zu reden und einzelne Regierungsmitglieder zu kritisieren, sagte Fraktionschef Florian Graf. Denn am Ende trage der gesamte Senat die Verantwortung. Nun ist Graf grundsätzlich kein Hau­drauf. Doch auch Kai Wegner als Generalsekretär der CDU lässt es in einer Erklärung wenig später dabei bewenden, dass Müller, der das Thema zur Chefsache erklärt habe, von eigenen Fehlern ablenken wolle. „Wenn Müller die aktuellen Zustände kritisiert, richtet sich seine Kritik zuvorderst gegen ihn selbst“, äußert sich Wegner, der sonst durchaus härter austeilt.

Kuscht die CDU?

Müller hat die CDU merklich in eine Lage gebracht, in der er Gut und Böse in der Koalition klar verteilt hat – und in der er selbst eine Win-win-Situation ist. Entweder kuscht die CDU und hält sich Henkel mit seiner Abschiebungsrhetorik künftig zurück, was sich dann der Regierungschef und die SPD zugutehalten können. Oder sie tut es nicht und ermöglicht es Müller so, die Koalition vorzeitig zu beenden – mit der Begründung, gar nicht anders zu können im Sinne einer funktionierenden, humanitären Flüchtlingspolitik in Berlin. „Jeder traut dem anderen nur so weit, wie er ein Klavier schmeißen kann“, hieß es vor Jahren mal in einem anderen Bundesland über die dortige CDU-SPD-Koalition. Auch für Berlin passt dieses Bild gerade ziemlich gut. Stefan Alberti