„Alter!“: Regelmäßig trainieren die Jungs des U-13 Teams Young Mola in der Neuköllner Boddinhalle Fotos: David Oliveira

Junge Wilde hinter Gittern

Fussball Spielspaß oder strenges Training? Dank zahlreicher Boltzteams und Vereinsmannschaften hat Berlins Jugend die Qual der Wahl. Eine Neuköllner Bestandsaufnahme

von Alina Schwermer

Ungefähr ein Mal im Jahr gibt es in irgendeiner deutschen Fußballzeitschrift einen Bericht mit dem Titel: Deutschland hat keine Straßenfußballer mehr. Gleichzeitig wird Berlin gern als Hochburg des Straßenfußballs gehandelt, wo jeder tätowierte Kicker im Käfig der nächste Boateng sein könnte. Doch gibt es den klassischen Straßenfußballer überhaupt noch? Und wenn ja, wie steht es wirklich um ihn? Was leistet er, was fehlt der Szene?

In der Boddinhalle in Neukölln kämpfen sieben Jungs um einen Ball. Es sind Jungs, wie man sie in einem Bolzteam in Neukölln erwarten würde, flink, frech, begabt, darunter viele Migrantenkinder. Oft sagen sie: „Alter“ oder „ich schwör“. Von einem wilden Kick im Käfig sind die Jungs des U-13 Teams Young Mola, organisiert vom Projekt buntkicktgut, dennoch meilenweit entfernt. Die Spieler trainieren regelmäßig in der Halle, und das ziemlich normal unter den Anweisungen des Trainers: Es gibt Aufwärm- und dann Pass-Übungen. Die erste Erkenntnis lautet: Das Training von Young Mola läuft ab wie das Training einer gewöhnlichen Vereinsmannschaft – soll das jetzt etwa Straßenfußball sein?

Unverbindlicher Kick

Organisierten Straßenfußball gibt es in Deutschland etwa seit den Neunzigerjahren. Das Projekt „buntkicktgut“ startete 1997 in München und gilt als Pionierprojekt. Seit 2006 expandierte es deutschlandweit und startete 2013 auch in Berlin. So gab es hier zum Beispiel die organisierte Straßenfußballliga Champions Neukölln, die von buntkicktgut ausgebaut wurde.

Wer sein Team in der Liga anmelden möchte, kann eine Mail an berlin@buntkicktgut.de schicken. Die Anmeldung eines freien Teams kostet 30 Euro. Ein Team hat mindestens sechs und höchstens zwölf Spieler. Auch eine Mitgliedschaft in einem bereits bestehenden Team von buntkicktgut ist möglich. Sie ist kostenlos. Anmeldeformulare gibt es unter: www.buntkicktgut.de/berlin/liga-anmeldung (as)

In den Zeiten, in denen Peter Hahn vom Landessportbund Berlin groß geworden ist, war Straßenfußball tatsächlich vor allem der unverbindliche Kick mit Freunden: „Wir haben uns getroffen und auf der Straße geknödelt“, sagt er. Heute gibt es das natürlich genauso, vor allem auf Bolzplätzen und in Käfigen. Hahn, der beim Landessportbund die Sportstättenabteilung leitet, schätzt, dass es zwischen 30 und 50 Käfige und Bolzplätze in der Stadt gibt, etwa gleich über die Stadtviertel verteilt.

Allerdings hat der informelle Kick einen Nachteil: Er ist eben informell. Es gibt keine Liga, keine Punkte. Und wenn man Pech hat, taucht einfach kein Spieler auf. „Unsere Erfahrung sagt, dass die meisten Kinder irgendwann mehr wollen“ so Hahn. „Sie wollen sich im Wettbewerb messen. Sie möchten Struktur.“ Einen Verein eben.

Doch anders als früher gibt es dabei ein Problem: Berlins Vereine haben Platznot. „Die Kinder rennen uns die Bude ein“, so Hahn. „Es gibt zu wenige Sportanlagen in der Stadt. Viele Vereine können einfach nicht mehr Leute aufnehmen.“ Zwar kommt, wer will, meist irgendwo im Verein unter. Viele Spieler aber suchen sich zusätzlich oder alternativ organisierte Bolzteams. Davon profitiert der Straßenfußball – wie zum Beispiel in Neukölln.

Julia Kandzia, Pressesprecherin des Projekts buntkicktgut, sitzt etwas abseits von der Halle auf einer Bank. Mit Fußball kann sie nach eigener Aussage „absolut nichts“ anfangen. Trotzdem ist sie bei buntkicktgut, quasi rein gerutscht, aus Spaß und Überzeugung. Es geht nicht nur um Straßenfußball hier: Buntkicktgut sei auch ein Sozialprojekt mit selbst organisierter Demokratie und Ligarat, mit Ausbildungen zum Schiedsrichter und Ausflügen. Die Jungs aber lieben vor allem den festen Spielbetrieb: Punkte, Auswärtsspiele, Pokale. „Struktur und Kontinuität sind unsere wichtigsten Worte“, sagt Kandzia. Sie klingt nicht viel anders als Hahn.

„Yalla“: Auch kleine Fußballgötter müssen sich vor dem Spiel aufwärmen

So folgt die zweite Erkenntnis: Vereine und Bolzteams ähneln sich häufig. Und sie ergänzen sich. Denn viele der 500 bis 600 Kinder, die bei buntkicktgut aktiv sind, spielen gleichzeitig im Verein. Es ist einer der hartnäckigsten Irrtümer, Fußballer in Vereinsfußballer und Straßenfußballer zu unterscheiden. Es gab so etwas auch nie: Schon die viel besungenen Boatengs spielten von klein an im Verein. Und auch viele Straßenkicker aus der guten alten Zeit. Am einen Tag Vereinstraining, am anderen Bolzplatz: Viele Kinder kombinieren einfach.

Beides hat Vorteile, findet etwa der sechzehnjährige Momo, Spieler beim BSV Hürtürkel und U13-Trainer bei buntkicktgut. „Im Verein ist es eher ernst. Da wollen alle Profi werden, aber man hat auch mehr Angst vor Fehlern“, sagt er. „Ins Bolzteam gehen wir vor allem aus Spaß am Fußball.“ Momo ist ein Junge aus dem Kiez, hier in der Gegend aufgewachsen. Er kennt sein Team und weiß, dass soziale Unterstützung genauso wichtig ist wie gutes Training. „Man muss die Jungs inspirieren“, sagt er. Und: „Ich will ihnen ein guter Freund sein.“

„Schwör“: Der Trainer erklärt seinen Spielern die Passübungen

Die Erfolgsgeschichten der jungen Spieler sind gute PR, und natürlich hat buntkicktgut die lobenden Worte von Stiftungen und Politikern sicher – trotzdem kämpft das Projekt seit Jahren ums finanzielle Überleben. „Man stellt sich gern bei uns aufs Siegertreppchen und überreicht Pokale“, sagt Kandzia, „aber am Geld hapert es dann.“

Und auch sonst stößt Berlins Straßenfußball häufig an seine Grenzen; vor allem, wenn es um den Lautstärkepegel geht. Eine einzelne Person könne mit einer Lärmbeschwerde einen Bolzplatz lahmlegen, sagt Peter Hahn. Er versuche dann, Verständnis zu wecken: „Wir wollen Rahmen schaffen, in denen Lärm möglich ist“, sagt Hahn. „Es kann nicht sein, dass man Kinder als Kinder erster und zweiter Klasse behandelt.“ Mit anderen Worten: Ein normaler Lärmpegel soll beim Bolzteam genauso akzeptiert werden wie bei der Vereinsmannschaft.

Denn Vereine profitieren von Bolzteams. Nicht nur wegen der auf der Straße erlernten technischen und kreativen Spielfähigkeiten – im Käfig haben die Jungs die Möglichkeit sich auszutoben, hobbymäßig, ohne Druck, und vielleicht auch mal auf einer anderen Spielerposition. Das ist durchaus gefragt: Auch die Jungs von Hertha und ein heutiger A-Jugend-Spieler des FC Bayern haben bei buntkicktgut gespielt. Fazit: Straßenfußballer sterben nicht aus. Und wenn es Deutschland an etwas fehlt, dann vor allem an Straßenfußballerinnen. Man arbeite dran, sagen sie bei buntkicktgut.