Fossile, gleichwohl lebendige Ressentiments in einsamen Provinzhöhlen: Selbst schuld, die Gute
„Unsere neue Heimat“
von Jan Feddersen
Kaum war meine Tante Witwe, nun sitzend, ihr Mann war hochbezahlter Elblotse, auf einem hohen Berg von Geld, bei klarstem Witwenverstand („Was geht noch?“), riet man ihr, sich endlich eine Putzfrau zuzulegen. Das sei doch nun gar nichts – in ihrem Alter, fast in den Achtzigern, sich um Fusseln und Flusen zu kümmern. Sie erwiderte, es war niederschmetternd: „Aber ’ne Polin kommt mir nicht ins Haus.“
Früher hätte ich sie als Neffe noch agitiert, schwerst antirassistisch auf sie einredend: „Was soll das? Die sind nett, die Malgorzatas und Anjas und Jollas.“ Nun sagte ich nur: „Selbst schuld.“ Wer so verballert das eigene Glück nicht zu organisieren vermag, ist einfach vertorft, blöd oder blind. Aber was soll man sagen? Eine alte Frau, die im letzten Winkel bei Hamburg lebt, Neues nur durch das Fernsehen auf sich einwirken lässt und die Ferne auf allerdings teuren Pauschalreisen an sich ranlässt, aber bitte „all inklusive“, aber nur was die Likörchen und Brandys anbetrifft.
Sie, meine Tante, stelle ich mir vor, wenn jetzt aus allen Ecken, nicht nur aus der von Pegida, gerufen wird: Haltet ein, ihr Deutschen, die ihr Flüchtlinge willkommen heißt, denn unsere deutsche Substanz geht verloren. Und ich möchte erwidern: Nichts gegen das, was errungen wurde, aber das, was nun als deutsch zu gelten hat, nicht wahr, ist auch all jenen abgetrotzt worden, die jetzt in ihren einsamen Provinzhöhlen ihre fossilen, gleichwohl lebendigen Ressentiments hegen.
Überhaupt muss man den Pegidas viel cooler begegnen. Nicht nur – klar: auch – demonstrierend entgegentreten und so weiter und so fort. Doch am wichtigsten scheint mir, dass man ihnen das Schwarz-Rot-Goldene abspricht. Nebenbei: Dass Heiko Maas neulich bei „Jauch“ diesem rechten Vogel aus Sachsen-Anhalt, dessen Namen ich mir nicht gern merken möchte, nicht mal den Fetzen mit der republikanischen Flagge der Bundesrepublik entwunden hat, darauf hinweisend, dass das nicht seine Farben sein können, ärgert mich noch jetzt. Kein Gespür , diese Sozen, für krasse Symbolik. Jedenfalls, darauf käme es an: Dass man sie, die Pegidas & Sympathisanten, ausgrenzt und zu wenn nicht zu Parias, so doch zu Fragwürdigen macht. Und ihnen sage: Ein guter Deutscher integriert Flüchtlinge, bietet Hilfe an, fragt sich, was die neuen Bürger*innen so alles Interessantes zu bieten haben, und fällt nicht gleich in Ohnmacht ob all der Menschen, die partout im Land Angela Merkels leben möchten, das heißt eine verheißungsvolle Zukunft. Ein guter Deutscher, mit anderen Worten, hat mit diesen stubenunreinen Subjekten nichts zu schaffen – und kümmert sich um eine Gesellschaft, die das Böse tabuisiert, um das Gute nicht zu ersticken.
Das klingt, nicht wahr, jetzt wieder viel zu moralisch, und das Nationale sei ja sowieso überholt. Man möchte dann seufzen und sagen: Wäre es so, würde nicht halb Syrien unbedingt nach Deutschland wollen. Wie dem auch sei: Meine Tante, der man unbedingt mitteilen muss, dass ihre Welt untergehen wird, weil das neue Deutschland sie nicht mal neugierig stimmt, hat sich neulich beim Putzen die Hand angeknackst. Tja.
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