Wohnscheiben an Pferdestall

STÄDTEBAU Was soll auf dem Dragonerareal entstehen? Die TU zeigt Entwürfe von ArchitekturstudentInnen. Auf Hochhäuser zu verzichten fällt denen offenbar schwer

Turm mit raffiniert geschraubtem Innenleben und viel Platz für gemeinschaftliche Nutzung Foto: Abbildung und Entwurf: Isidoro Michan Guindi

von Nina Apin

Ein riesiges Zeltdach, Wohnscheiben, geschraubte Türme: Orte wie das Dragonerareal hinter dem Kreuzberger Finanzamt beflügeln Architektenfantasien. Das Areal der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne ist die größte bundeseigene Liegenschaft in der Innenstadt. Und eines der ältesten erhaltenen Kasernengelände Berlins. Als studentische Entwurfsteams der TU Berlin und der Cornell University in Ithaca, New York 2014 unabhängig voneinander Ideen für das Dragonerareal erarbeiteten, ahnten sie nicht, wie nah diese der Realität kommen könnten: Im September 2015 kippte der Bundesrat den Verkauf des Geländes zum Höchstpreis. Jetzt ist der Weg frei für eine sozial gerechte Bebauung. Um anzuknüpfen an die Berliner Debatte, zeigen die Beteiligten beider Unis jetzt ihre Entwürfe in einer Ausstellung.

„The Berlin Project“ heißt die kleine Schau im Architekturmuseum der TU Berlin. Am Aufbau lässt sich nachempfinden, wie sich zwei Teams erst theoretisch an diesem Areal mit seinen denkmalgeschützten Kasernenresten abarbeiteten – und dann in den Sog der liegenschaftspolitischen Kontroverse gerieten.

Ein Gefühl für den Ort

Im Mittelpunkt steht eine Luftaufnahme des Geländes mit seinen ehemaligen Ställen, Plätzen und Zweckgebäuden. In einem Reader erfährt man, wie sich die Studierenden ein Gefühl für den Ort erarbeitet haben: Die US-amerikanische Gruppe unter der Leitung der ProfessorInnen Verena von Beckerath, Tim Heide und Till Hoffmann ­näherte sich ganz pragmatisch der Frage, wie Wohnungsbau in großem Maßstab aussehen könnte.

Das knapp 5 Hektar große Areal zwischen Mehringdamm und Obentrautstraße ist eins der letzten großen Baugrundstücke in Kreuzberg. Neben Bauten der ehemaligen Dragoner-Kaserne befinden sich dort Kleingewerbe und ein Club. Eigentümerin ist der Bund, vertreten durch die Bima. Die hatte 2014 meistbietend an einen Investor verkauft, der 36 Millionen Euro geboten hatte – dreimal so viel wie der Verkehrswert. Als der Investor weiterverkaufte, mehrten sich Proteste. Im September stoppte der Finanzausschuss des Bundesrats den Verkauf und setzte den Verkehrswert als Preis fest. (api)

Die TU-Studierenden unter Leitung von Martin Murrenhoff und Jörg Stollmann setzten sich mit den Ideen der beiden lokalen Konsortien auseinander, die sich am Bieterverfahren beteiligten und dem Investor Arne Piepgras unterlagen. Bezahlbares Wohnen, Platz für kleinteilige Gewerbe, auch für Geflüchtete? Das könnte aussehen wie ein zeitgenössisches Update des Hansaviertels: flache Fünfstöcker mit Glasdach und öffentliche Gärten. Riegel, die auf V-Stützen ruhen, Punkthochhäuser mit gemeinsamen Gartenterrassen. Oder, ganz aufs Historische fixiert, eine Rekonstruktion des Kasernenensembles, ergänzt durch zurückhaltende Neubauten.

Der Rundgang zeigt, dass es für angehende ArchitektInnen wohl eine Zumutung ist, auf Hochhäuser zu verzichten. Ein Entwurf versucht, das Überschreiten der Berliner Traufhöhe mit einer zeltartigen Hülle zu kaschieren – als merkten die Hochhausverächter das nicht.

Die Studierenden des Cornell College dagegen ignorieren die Sachzwänge und fantasieren drauflos, angeregt von nie verwirklichten Städtebaumodellen und existierenden Gebäuden wie dem Schöneberger „Sozialpalast“ oder Düttmanns „Akademie der Künste“. Manche der Fantasien könnte man sich am Mehringdamm vorstellen. Die Ausstellung ist eine Erinnerung daran, dass wieder einiges möglich ist in Kreuzberg.

Bis 17. Dezember in der TU Berlin, Straße des 17. Juni 152