: Ein besonders realitätsnahes Medium
Film Je kürzer die Tage, desto kürzer die Filme. Ab Dienstag läuft das Kurzfilmfestival „Interfilm“. Aus 7.000 Einreichungen wurden 500 ausgesucht, die in 18 Programmen, 6 Wettbewerben und 9 Kinos gezeigt werden
von Detlef Kuhlbrodt
Je kürzer die Tage, desto kürzer die Filme. Ab Dienstag findet wieder das Kurzfilmfestival „Interfilm“ statt. Aus 7.000 eingereichten Filmen wurden 500 ausgesucht, die in 18 Spezialprogrammen, 6 Wettbewerben und 9 Kinos gezeigt werden.
Unter anderem werden arabische und taiwanische Kurzfilme präsentiert, es gibt Kurzfilmretrospektiven von Alain Resnais, Michelangelo Antonioni und Stanley Kubrick, neue Filme aus Berlin und China, Grusel- und experimentelle Kurzfilme, queere Filme und auch solche, die sich mit Videogames oder Essen beschäftigen. In Themenwettbewerben werden „Umweltfilme“ und „ Filme gegen Gewalt“ gezeigt.
„Der Kurzfilm ist häufig ein besonders realitätsnahes Medium, das besonders dazu geeignet ist, drängende Probleme unserer Zeit aufzuarbeiten“, erklärt Bürgermeister Müller in seinem Geleitwort.
Vor 31 Jahren begann es in Kreuzberg als Super-8-Filmfest. Die Grenzen zwischen Filmen von Filmstudenten und Amateurfilmern waren noch fließend. Mittlerweile kommen die meisten Filmer von Filmhochschulen, und der Abspann mancher Filme Sechsminutenfilme ist zwei Minuten lang.
Es gibt seltsam düster psychedelische animierte Drogenfilme wie der zehnminütige französische Film „Splintertime“, in dem die Helden der Band, die nach ihrem Gig mit einem Krankenwagen durch die Gegend fährt, etwas leicht Tarrantinohaftes haben.
In dem ebenfalls französischen Sechsminütiger „Narkose“ von Julien Le Coq taucht ein Büromitarbeiter beim Arbeiten mit dem Excel-Programm in maelstromhafte Welten.
Die deutsche Computeranimation „Minercraftolia“ von Leonard Bahro ist mit pathetischer Musik untermalt, orientiert sich an der Computerästhetik der 80er Jahre und endet mit der traurigen Spielmeldung: „You died! You were blown up by Melancholia“.
Die walisische 8-Bit-Blaxploitation-Animation „Isaac and Quincey“ erzählt kurzweilig mit guter Musik von den üblichen schießwütigen Cops, und der 13-minütige Menschenfilm „Sanguine Craving“ des spanischen Regisseurs Gerard Tusquelles berichtet vom traurigen Schicksal eines Außenseiters, der es als schwuler Spross einer Familie von Frauenmördern nicht einfach hat.
Das Thema Migration
In der berührenden kanadischen Retro-Look-Animation „Migration“ sehen die Flüchtenden aus wie Däumlinge und ziehen wie die Lemminge Richtung Klippe. Die Naturaufnahmen haben etwas melancholisch Super-8-Mäßiges.
Der kanadische Film „The Nigerian“ von Ben Goloff erzählt die bekannte Geschichte des reichen nigerianischen Prinzen auf der Flucht und wie es ihm noch in letzter Minute gelingt, eine Mail ins ferne Ausland zu senden.
Die englische Doku-Animation mit dem Warhol-Titel „From A to B and back again“ erzählt aus Kindersicht von Flucht, Ankommen, Abgeschobenwerden und Wiederfliehen.
Die estnisch-litauische Animation „Villa Antropoff“ von Kaspar Jancis und Vladimir Leschiov stellt gekonnt, aber etwas zu scherenschnittartig die Dekadenz der Reichen und das Elend der Flüchtenden gegeneinander. Mit seinem Film „Sadakat/Fidelity“, in dem es um einen politischen Aktivisten in Istanbul geht, gewann der Hamburger Ilker Çatak den Studenten-Oscar 2015.
Während der kurze, spannende schweizerisch-libanesische Spielfilm „Les Chemins“ von Ovidio El Hout und Fouad Alaywan von einer Familie im Libanon berichtet und dem Näherkommen der Truppen des IS, erzählt der mexikanische Kurzfilm „Nothing happens here“ brutal die Wirklichkeit von einer Bauernfamilie, die zwischen die Fronten des Drogenkriegs gerät. In dem bedrückenden finnisch-dänischen Film „Listen“ von Hamy Ramezan und Rungano Nyoni geht es um eine arabische Frau, die vergeblich bei der Polizei nach Schutz sucht vor ihrem gewalttätigem Mann.
Es gibt berühmte Animationsfilmer, wie etwa Adam Elliott, der 2003 den Oscar gewann und dessen teils mit Knete animierter Liebesfilm „Ernie Biscuit“ ein Fest für die Augen und die Seele ist.
Der wunderbare portugiesische Animationsfilm „Amélia & Duarte“ von Alice Guimarães und Mónica Santos erzählt nostalgisch von einer ganz großen Liebe. Der Held des englischen Kurzfilms „The Reinvention of Normal“ von Liam Saint-Pierre erfindet hilfreiche Dinge wie „Reverse-Bungy-Jumping“, und „Penny’s for Tea“ von Sophie Jarvis und Kane Stewart sei allen FreundInnen von Hundefilmen empfohlen.
Der sympathische deutsche Film „Herman the German“ von Michael Binz berichtet lustig und in guten Farben von einem entscheidungsschwachen Bombenentschärfer, und das litauische Werk „The Fish of my Life“ von Julius Siciunas endet ungut. In jedem Fall gibt es viel zu gucken.
Nähere Informationen: www.interfilm.de
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