: Raum für lange Schatten
KUNST Die Ausstellung der französischen Künstlerin Marie Angeletti im Künstlerhaus am Deich eröffnet einen atmosphärischen Raum, statt klar definierte Kunstwerke zu zeigen
von Radek Krolczyk
Hier ist wohl nichts mehr. Alles scheint bereits vorüber zu sein. Schon unten vor der Tür, auf der Straße vor dem Hof des Künstlerhauses am Ufer der kleinen Weser ist alles voll mit dunklem, dickem Laub. Vor dem Eingang liegt ein handgeschriebener Zettel in einem kleinen Glaskasten, der mal gehangen zu haben scheint. Es sieht aus, als habe er sich gelöst. Der Kleber auf der Rückwand ist getrocknet, aber noch zu erkennen. Dabei steht auf dem heruntergerutschten Blatt Papier, dass die Arbeiten von Marie Angeletti noch gezeigt werden – ja, dass diese Ausstellung der jungen französischen Künstlerin gerade erst vorige Woche eröffnet wurde.
Wobei Ausstellung auch wieder so ein Wort ist, das an einen geschlossenen und klar bestimmten Ort denken lässt, an dem einigermaßen geschieden von den räumlichen Bedingungen Werke präsentiert werden. Vor allem aber lässt das Wort an einen eingerichteten Raum denken. Angelettis Ausstellungshalle hingegen wirkt eher wie ausgeräumt und verlassen.
Anstelle einer Reihe eindeutig definierter Kunstwerke zu präsentieren, hat die Künstlerin einen atmosphärischen Ort geschaffen, durch den man sich bewegen kann. Wenngleich es hier schon einige zweifelsfrei als künstlerische Arbeiten zu erkennende Dinge gibt. Vor allem sind das die Fotografien und ein Video. Viel aber gibt es nicht zu sehen. Und so bleibt einem in der Abwesenheit der Fülle von Dingen, die man erwartet hätte, lediglich die eigene Anwesenheit. Und mit dieser allein umzugehen, ist bekanntlich das allerschwerste.
Von den Decken der fast leeren Räume sieht man einige alte Kronleuchter herunterbaumeln. Es sind diese mit Kristallglas überfrachtete Lampen, wie man sie in Trödelläden oder auf Flohmärkten finden kann. Auch an den Wänden hängen hier und dort ähnliche Modelle. Die Kunststofffassungen der kerzenförmigen Glühbirnen sind mit Applikationen verziert, die wohl herunterfließendes Wachs darstellen sollen. Dadurch sind diese Lampen selbst bereits eine nostalgische Reminiszenz an eine noch viel weiter zurückliegende Zeit.
Wer solche Lampen mag, kann kein Minimalist sein. Sie gehören in vollgestopfte Wohnungen und umso irritierender wirkt darum die Leere der Ausstellungsräume. Von den fünf oder auch mehr eingefassten Glühbirnen brennt jeweils nur eine. Das Licht ist mild und für Schatten ist ja Platz genug. Dort werden Bilder von Orten evoziert, die man vielleicht selbst einmal verlassen hat. Eine Wohnung zum Beispiel, in der man mal gelebt hat – und aus der man auf dem Weg die Treppe hinunter zum Umzugswagen die Lampe als letztes getragen hat. Etwas elektrisches Licht brauchte man ja noch zum Weißen der Wände.
Die gerade so eben noch brennende Lampe ist ein immer wiederkehrendes Motiv innerhalb der Schau. Durch sie werden die Ausstellungsräume transzendiert. Man findet diese Leuchter auch in den Fluren und im Treppenhaus. An die Galerie grenzende Räume wie eine kleine Küche und Büros sind geöffnet. Man kann nicht genau sagen, wo das nun alles anfängt und wo es aufhört. Man fühlt sich ein wenig verloren. Aber im selben Augenblick ist die Öffnung all dieser Räume auch erfrischend, eine Art optisches Lüften.
Die Fotografien und das Video, die in der Ausstellung zu sehen sind, hat Angeletti während ihres Aufenthalts in Bremen zum Ausstellungsaufbau aufgenommen. Auch sie wirken wie die Überreste von etwas. Die Projektion zeigt blässliche Aufnahmen vom Neustädter Weserufer, der Gästewohnung des Künstlerhauses und eines Wandbildes von Sarah Morris, das im Foyer der Kunsthalle zu sehen ist.
An eine Wand hat Angeletti ein Stück des abstrakten Bildes übertragen und wieder ausradiert. Auch hier wieder nichts als der Rest von etwas. Auch Restbestände der Ausstellungsgeschichte des Künstlerhauses sind in diesem Video zu finden. So etwa die Einstellung aus einem Film des berühmten amerikanischen Künstlers Kenneth Anger, der dort mal gezeigt wurde. Knapp zehn Jahre ist das schon her.
Vor der Projektion dreht sich auf einem kleinen Podest ein buntes Fantasy-Pferd, an einer Wand lehnt eine Marionette, die eine venezianische Karnevalsmaske trägt. Ähnlich den Leuchtern, sind sie Versprechen auf eine ganz andere Welt. Eine Welt, die früher war oder ganz woanders liegt. In all der Leere wirken diese Dinge seltsam. Man weiß nicht so recht, was man mit ihnen anfangen sollte. Ihr Versprechen wirkt nicht mehr. Genauso hat man sie hier zurückgelassen.
Ausstellung bis zum 17. Januar, Galerie Künstlerhaus Bremen
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