Das Fieber hört nicht auf

REBELLION Dramatisch und nicht dämlich, prononciert und nicht platt: Die Berliner Band Milliarden trumpft mit Reminiszenzen an die großen Ton Steine Scherben auf

Fassen eine diffuse Unzufriedenheit in griffige Bilder: Ben Hartmann und Johannes Aue alias Milliarden Foto: Vitali Gelwich/Promo

von Thomas Winkler

Es war später Januar, der Winter hatte die Stadt fest im Griff, da spielten Ton Steine Scherben – jedenfalls das, was von ihnen noch übrig ist – im Kesselhaus der Kulturbrauerei. Im Saal war es heiß und stickig. Und es ergab sich die seltsame Situation, dass die Vorband zwar nicht „Der Traum ist aus“ spielte oder „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ oder irgendeinen anderen Klassiker, aber trotzdem so klang, wie man sich Ton Steine Scherben vorstellt und wünscht: rebellisch und harsch, nachdrücklich und unaufschiebbar. Die Hauptband dagegen klang im Vergleich nicht mehr so wie Ton Steine Scherben, obwohl sie es doch eigentlich waren.

Heisere Dringlichkeit

Dass man die Vorspeise leicht mit dem Hauptgang verwechseln konnte, hatte den einfachen Grund, der den Namen Rio Reiser trägt. Der nämlich singt aus naheliegenden Gründen nicht mehr bei Ton Steine Scherben. Bei der Vorband, die Milliarden heißt, singt der 1996 verstorbene Reiser zwar auch nicht, aber dafür ein gewisser Ben Hartmann. Dessen Stimme erinnert sehr an die heisere Dringlichkeit des großen Rio.

Und da hören die Gemeinsamkeiten nicht auf. Auf der schon Anfang des Jahres in Mini-Auflage auf Vinyl, im Sommer dann auch digital erschienenen ersten EP „Kokain und Himbeereis“ kann man nachhören, wie Hartmann sich durch Texte krächzt, die so ähnlich auch ein Reiser hätte schreiben können. „Ich will Frieden, ich will Krieg, ich will alles anders, als es heute aussieht“, singt Hartmann, als wäre es das letzte, was er tun wird. „Ich will ein Mörder sein, ein Terrorist, ich will voller Liebe sein, weil es dasselbe ist.“

Es ist sicherlich viel zu früh, Milliarden eine ähnliche Sprengkraft zu bescheinigen wie den frühen Scherben. Die Zeiten sind auch ganz andere. Und die vier Songs der EP reichen natürlich lange nicht, um mit der poetischen Langzeitwirkung eines Rio Reiser in Konkurrenz treten zu können. Aber wie Hartmann in seinen Liedern eine diffuse Unzufriedenheit in griffige Bilder fasst, wie er das Pathos in die Schranken weist, aber doch von großen Gefühlen singt, wie er die Liebe im Alltag verankert – das kennt man genau auch so aus den besten Stücken von Rio Reiser. Die Herzen sind hungrig in diesen Songs, die „kalte Liebe“ schlägt „heiße Wunden“ und „das Fieber hört nicht auf“, Drogen werden genommen und Straßen brennen, der Aufstand kommt, und „wir sind alle Schall und Rauch“. Aber so, wie Hartmann das singt, klingt es dramatisch und nicht dämlich, prononciert und nicht platt.

Milliarden jedenfalls scheinen zu wissen, wo sie herkommen und wem es zu verdanken ist, dass man heute mit solcher Kraft auf Deutsch singen kann. In einem Interview verkündeten sie, es sei „eine große Ehre“ gewesen, im Vorprogramm der Scherben spielen zu dürfen. Man selbst würde zwar eher The Smiths oder The Cure hören, aber das wiederum ist ihnen eher nicht anzuhören. Denn statt fahler Noblesse strahlen Milliarden eine schmerzhafte Intensität aus. Eine Intensität, die auch übersehen lässt, dass Hartmann eine fiese Rotzbremse spazieren trägt und sich schon mal mit pennälerhaft kurzer Hose auf die Bühne stellt.

Der Plattenvertrag ist da

Mit dieser Intensität haben es Milliarden vor einem Jahr auch schon mal ins Fernsehen geschafft: Bei „Inas Nacht“ musste man sich von der Gastgeberin gewohnt unsensibel in den Refrain von „Vergiss mich nicht“ hineinsingen lassen, während Til Schweiger ganz cool mit den Daumen wackelte. Eine Intensität, die einen ihrer Songs zum Höhepunkt des Soundtracks von Oskar Roehlers Film „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ werden ließ. Eine Intensität, die schließlich dazu geführt hat, dass Milliarden vom internationalen Unterhaltungskonzern Universal unter Vertrag genommen wurden.

Entstanden ist die Band schon vor gut vier Jahren. Sänger und Gitarrist Hartmann und Keyboarder Johannes Aue bilden den bestimmenden Nukleus der Band. Auf die Bühne gehen Milliarden mit einem zusätzlichen Gitarristen und einem Schlagzeuger zwar als Quartett, aber Aue und Hartmann schreiben zusammen die Songs für das Debütalbum, das im kommenden Jahr dann endlich erscheinen soll.

Kennengelernt haben sich die beiden bei einer Aufnahmeprüfung der Universität der Künste. Der eine stand draußen und hörte den anderen drinnen Klavier spielen. Eine schöne Geschichte, die später einmal, sollten Milliarden tatsächlich einmal berühmt werden und nicht mehr nur als Vorband originaler klingen als die Hauptband, zur Legende werden könnte.

Konzert: 7. 11., 19 Uhr, Badehaus Szimpla. Milliarden: „Kokain & Himbeereis“ EP (Universal)