Im Foto-Zoo

Geliebt, gefürchtet, gegessen: Das Essener Museum Folkwang zeigt rund 600 Tier-Fotografien – sowohl von Profis als auch von Hobby-Knipsern

VON KÄTHE BRANDT

Lord Charles Beresford sitzt auf dem abgeschnittenen Kopf eines erlegten Rhinozeros. Zufrieden schaut er aus, aber auch nachdenklich. Um den adligen Jäger verstreut liegen die Hufe des Tieres. Das Foto, geschossen im Jahre 1833 von einem anonymen Fotografen, hängt zusammen mit vielen hundert anderen Tierbildern bei der Ausstellung „Nützlich, süß, museal – das fotografierte Tier“ im Essener Museum Folkwang. Und nicht bloß der versonnene Jäger – alle Aufnahmen zeigen eines mit aller Deutlichkeit: Dass der Mensch schon immer ein ziemlich ambivalentes Verhältnis zu seiner evolutionären Nachbarschaft hatte.

Das Tier wurde als Begleiter, Freund, Antipode des Menschen in Bildern gerühmt, als göttliche Inkarnation verehrt, als Spezialität verzehrt, gefürchtet, liebkost und misshandelt. Es wurde gejagt und ausgestellt, dressiert und studiert. Als Tröster einsamer Herzen, als Arbeitsgehilfe wie auch als Forschungsobjekt der Wissenschaft wurde es ge- oder missbraucht, als Spielgefährte vermenschlicht. Es wurde in Stein gemeißelt, gemalt und immer wieder fotografiert und gefilmt. Und zuletzt wurde es zum ästhetischen Objekt.

In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren ist das Tier in der bildenden Kunst zu einem populären Gegenstand verschiedenster künstlerischer Konzepte geworden. Mit ein Grund für Ute Eskildsen, die Leiterin der Fotografischen Sammlung am Museum Folkwang, eine motivgeschichtliche Ausstellung zu machen, die die fotografische Präsentation des Tieres thematisiert. Die Fotos stammen aus Bibliotheken, Archiven, aus Völkerkunde- und Kunstmuseen, naturhistorischen Sammlungen und von Bildagenturen.

Seit den Anfängen der Fotografie dienten Tiere als Anschauungs- und Experimentiermaterial. Doch nicht nur die historisch-technische Entwicklung des Mediums im 19. Jahrhundert lässt sich anhand der Tierbilder in Essen verfolgen. Fast gleichzeitig zu der experimentellen Phase jener technischen Frühzeit entwickelte sich eine dokumentarische Fotografie. Diese Bilder aber funktionieren nicht als neutraler Spiegel einer Wirklichkeit, sondern als deren Interpretation. Der subjektive und geübte Blick des Fotografen kann niemals die Realität abbilden, sondern immer nur einen interpretierenden Zugriff auf die Welt liefern. Das wird anhand der ausgestellten Fotografien exotischer Tiere und Menschen in Afrika deutlich.

In seinem Beitrag zum Ausstellungs-Katalog beschreibt der Soziologe Bernhard Gissibl die „politische und herrschaftsstabilisierende Funktion“ solcher im kolonialen Kontext entstandenen Fotografien. Hier präsentiere sich „das männliche weiße Individuum als Bezwinger dieser Tierwelt“, während „die Menschen des Kontinents dem Raum der Natur“ zugeordnet würden. Als historisch-soziologisches Studienmaterial sind derartige Bilder auch heute hochbrisant und fordern eine Kontextualisierung. Überdies legen sie Zeugnis ab von der Macht der Bilder, die unsere Wahrnehmung nachhaltig prägen. Die einzigartige Ausstellung in Essen ist auch deswegen so interessant, weil sie künstlerische und angewandte Fotografie gleichberechtigt zeigt, also etablierte Fotografen, junge Künstler sowie anonyme Amateurknipser miteinander ausstellt und das populäre Thema in den weiten anthropologischen Horizont stellt, in den es gehört.

Die junge englische Künstlerin Jo Longhurst etwa porträtiert Hunde frontal als Gegenüber, ähnlich wie der Düsseldorfer Fotograf Thomas Ruff Freunde und Bekannte aufgenommen hat. Für Longhurst steht die bildliche Zurichtung der Kreatur auf menschliche Bedürfnisse zur Diskussion. Auf der Suche nach ästhetischer Perfektion des von seinen ursprünglichen Fähigkeiten immer weiter abgespaltenen Tieres verfolgt die Künstlerin kritisch die Ideen von Zucht und Eugenik, von Konformität und Differenz – und ruft damit auch eine unselige Ideologie ins historische Gedächtnis.

Museum Folkwang, Essenbis 15. Januar 2006Katalog (Bild- und Textband) 48 Euro