Tanz die Lobotomie

PREMIERE Am Goetheplatz inszeniert Choreograph Samir Akika Ken Keseys Psychiatrie-Roman "Einer flog übers Kuckucksnest" als optisch eindrucksvolles Tanztheater – und als Nacherzählung

Einer fliegt F: Landsberg /TheaterHB

Verrückte tanzen! Das können sie wirklich gut. Und sie tun es auch mit großer Hingabe, Leidenschaft, die TänzerInnen der Bremer Kompanie „Unusual Symptoms“, hier zusammen mit dem Bochumer Street Dance-Label „Renegade“. Und wenn es schon um Psychiatrie geht, auf der Bühne, die Welt zwischen so genannter Normalität und definiertem Irrsinn, dann denkst du natürlich gleich an „Einer flog übers Kuckucksnest“. Nun hat Samir Akika, Hauschoreograph des Bremer Theaters, Ken Keseys Roman von 1962 und Miloš Formans Film von 1975 im Kleinen Haus als Tanztheater inszeniert.

Leider funktioniert das vor allem als optisch eindrückliche Nacherzählung – inhaltlich weist die Inszenierung kaum darüber hinaus. Wer weder Buch noch Film kennt, dem dürfte es schwer fallen, in diesem Stück mehr als das Ungefähre zu erahnen. Und wer doch das eine oder andere gelesen, gesehen hat, vergleicht fast automatisch - und erkennt sicher auch fast alles wieder, auch wenn entscheidendes am Ende fehlt.

In der Geschichte geht es um Draufgänger Randle P. McMurphy, der seine Strafe lieber in der Anstalt als im Knast absitzen will und seine Erkrankung nur vortäuscht. In dem totalitären System der geschlossenen Einrichtung, angeführt von einer ebenso selbstverliebten wie menschenverachtenden Oberschwester rüttelt er seine mit Medikamenten ruhig gestellten Mitinsassen auf, wird aber selbst schrittweise zwangspsychiatrisiert. Als die Station eine vom ihm initiierte Party feiert, endet das im Desaster: Ein Patient wird in den Suizid getrieben. McMurphy versucht daraufhin, die Oberschwester zu erwürgen und verliert in der Folge, durch eine Hirnoperation, die Lobotomie, seine Persönlichkeit. Am Ende wird er von einem Mitpatienten, den er aus der Lethargie gerissen hat, vor dessen Flucht erstickt.

Die Bremer Inszenierung, gehüllt in das düsteres, wunderbar vielschichtiges Bühnenbild von Nanako Oizumi, versucht, die Geschichte nicht nur als reine Psychiatriekritik zu inszenieren, verliert sich dabei aber im ungefähren. Am Ende hat sie weder die Tiefe und Stärke der Geschichte noch die Kraft einer weiter gefassten Gesellschaftskritik.

Sie schwankt zwischen sehr ernsthaften und lauten, überdrehten Passagen, sie will tragisch, aber auch absurd und komisch sein — das aber gelingt dem Film besser. Das Stück ist von allem ein bisschen was, nicht ohne manchmal auch etwas langatmig und enervierend zu sein. Und die Tänzer brillieren zwischen alledem, sind durch den Focus auf das Verrückte in ihren Ausdrucksformen aber auch limitierter, weniger vielschichtig als man andere Arbeiten Akikas.

JAN ZIER

Wieder am 19.11., 20 Uhr