Von Rollen und Ritualen

Interkultur Keine leichte Aufgabe, sich im kulturellen Durcheinander zurechtzufinden: Das zeigt die Theater-Trilogie „Europa!“ der Gruppe Follown beim Eigenarten-Festival

Alles eine Frage der Perspektive: Das Theater Follown macht Blicke aus und auf Europa zum Thema   Foto: Ariane Gramelspacher

von Robert Matthies

Entweder gefährlich oder unverbindlich-tolerant: Hartnäckig hält sich die Vorstellung, vermeintlich klar abzugrenzende Kulturen könnten nur nebeneinander funktionieren. Dass es auch anders geht, beweist seit 16 Jahren das Festival „Eigenarten“: Statt darüber zu streiten, unter welchen Bedingungen wer wo mitmachen darf, gibt man sich dem faktischen Durcheinander hin. Einmal im Jahr bringt das Festival KünstlerInnen, die interkulturell arbeiten, für eine Woche zusammen, um unter Beweis zu stellen, dass und wie ein Miteinander trotz oder gerade wegen all der Unterschiede funktionieren kann.

Dass es aber mit dem Mitein­ander im Durcheinander so einfach auch wieder nicht ist, das zeigt die Trilogie „Europa!“ des dreiköpfigen Theaters Follown. Vor sieben Jahren wurde es von der Deutschen Susanne Amatosero, dem Ivorer Mandjou Doumbia und dem Togoer Ibrahima Sanogo in Hamburg gegründet, um über Länder- und Genregrenzen hinweg kulturelle Missverständnisse zur Sprache zu bringen.

Damit beschäftigt sich Follown im Rahmen des Eigenarten-Festivals nun seit vier Jahren. Drei auch für sich stehende Stücke waren dort schon zu sehen, am Dienstag sind sie jetzt im Polittbüro erstmals an einem Abend zu sehen. Es ist eine mal humorvolle, mal nachdenkliche, dann wieder dramatische Theaterreise durch allerlei absurde Vorurteile und Zuschreibungen zwischen Europa und Afrika. Ein Abend über Träume und Enttäuschungen, über das Verlieren eingeübter Rollen und das Scheitern damit, allzu grob geschnitzten Erwartungen anderer zu entsprechen.

Im ersten Teil „Trans Vest“ schlüpfen Doumbia und Sanogo in allerlei Kostüme aus Kleidersammlungssäcken, die mit verschiedenen Rollenzuschreibungen verbunden sind: traditionelle afrikanische Gewänder, Blaumänner, Gigolo-Klamotten. Am Ende stehen sie als das vielleicht hartnäckigste Vorurteil gegenüber Männern aus Afrika auf der Bühne: als Drogendealer. Nein, so geht es nicht.

Der zweite Teil „Europa! Du hast mir den Kopf verdreht!“ kehrt die Perspektive dann um. Die beiden Afrikaner Dr. Momo de Bänge und sein Assistent, ein Herbalist und Fetischeur, kommen – verführt vom Europabild in Filmen und anderen Medien – nach Europa. Aber dort sieht es ganz anders aus als in ihren Träumen. Die Prinzessin Europa scheint krank zu sein, blass ist sie und wirkt depressiv. In einer Mischung aus Séance, Revue, Musical und Tanz machen sich die beiden daran, sie zu heilen.

Im dritten Teil „Die Herren des Wahnsinns“ kommt ein Europäer, Jean Rouch, der französische Regisseur ethnografischer Filme, nach Afrika: ein Reenactment seines Kurzfilms „Les maîtres fous“ über die Hauka-Bewegung, die sich mit Mimikry und Tanz über die Militärzeremonien ihrer Kolonialherren lustig machten.

Der Film erzürnte Mitte der 1950er beide Seiten: die Kolonialverwaltung ebenso wie afrikanische Studenten. „Du schaust uns an wie Insekten“, warf der Regisseur Ousmane Sembène Rouch damals vor. Gar nicht so leicht, sich im kulturellen Durcheinander zurechtzufinden.

Eigenarten-Festival: bis 8. 11., Internet: eigenarten-festival.de

„Europa! Die Trilogie“: Di, 3. 11., 20 Uhr, Polittbüro