Balkanroute

Slowenien versucht der desolaten Lage mit den Flüchtlingen Herr zu werden. Die Hoffnung auf Hilfe aus Brüssel und Berlin schwindet

Geordnetes Chaos

Slowenien Obwohl täglich Tausende Flüchtlinge ankommen, funktioniert deren Versorgung und Weitertransport reibungsloser als erwartet. Auch die Zusammenarbeit mit der kroatischen Seite klappt wieder

Flüchtlinge in Sentilj überbrücken die Zeit bis zur Weiterreise nach Österreich Foto: Srdjan Zivulovic/reuters

Aus Maribor Daniél Kretschmar

Der Tag endet in Sentilj. Unterhalb der Autobahn zwischen Maribor und Graz, wo der slowenische Ort auf das österreichische Spielfeld trifft, wärmen sich Menschen an kleinen Feuern. Wo das eine Land endet, das andere beginnt, ist von oben kaum auszumachen. Auf der einen wie der anderen Seite warten Tausende darauf, ihre Reise fortsetzen zu können. Hier wie dort riegelt übermüdetes Sicherheitspersonal dieses Doppelcamp ab.

Auf der slowenischen Seite gehen Flüchtlinge die hohe Böschung hinauf, bis zu dem kleinen Supermarkt. Soldaten halten sie dort davon ab, alle auf einmal hineinzugehen. „Two! Just two!“, sagt einer der Uniformierten immer wieder, nicht einmal unfreundlich. Wie lange er heute schon hier ist? 15 Stunden, sagt er.

In der Nähe rollt spärlich, aber ungehindert, der Verkehr zwischen den beiden Schengenstaaten, keine 200 Meter weiter steht alles still. Auf die Einreise nach Österreich warten hier in dieser Nacht mehr als 3.000 Menschen. Das ist wenig im Vergleich zu den vergangenen Tagen. Fast alle kommen hierher mit Bussen aus der Gegend um Brežice und Dobova. Dort haben sie die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien überquert.

In den drei Aufnahmezentren der Gegend befanden sich allein am Dienstag 8.000 Flüchtlinge. Immerhin kamen die nicht mehr unangekündigt. In seiner zur täglichen Routine gewordenen Pressekonferenz lobte Boštjan Šefic, Staatsekretär im slowenischen Innenministerium, am selben Tag die kroatische Seite für die Kooperation.

Die Lage ist dennoch desolat. Zwischen verschlafenen Dörfern, an denen vorbei dieser Tage der Morgennebel kaum die untersteirische Hügellandschaft hinaufziehen will, übernachten Menschen zum Teil in einfachen Campingzelten. Sie hocken dicht an dicht auf dem nassen, bald völlig dem Matsch weichenden Gras. Die Temperaturen steigen tagsüber noch auf über 10 Grad, nachts kündigt sich der nahe Winter mit empfindlichen 5 Grad an.

Stundenlang zieht sich das Warten auf den nächsten Bus hin. In langen Schlangen stehen die Fahrzeuge in Dobova, rangieren durch enge Gassen. Gereizte Polizisten versuchen, der Lage Herr zu werden. Vereinzelt sieht man Soldaten, die ihr Sturmgewehr bei sich tragen.

Wer Glück hat, wird nicht nach Sentilj gefahren, sondern nach Gornja Radgona. Ein Brücke über die Mura trennt das Städtchen vom österreichischen Bad Radkersburg. Ein innerstädtisch gelegenes und beheiztes Messegelände wird für die Unterbringung der Flüchtlinge genutzt. Zu Fuß sind es von hier etwa 15 Minuten bis zur Brücke.

In kleinen Gruppen erfolgt die Übergabe an die österreichische Polizei. Auf der Brücke fordern Schilder in mehreren Sprachen dazu auf, Ruhe zu bewahren und nicht zu drängeln. Alles geht sehr gesittet ab. Auf dem Fußgängerweg überqueren die Flüchtlinge den Fluss. Zur Sicherheit ist noch eine Fahrspur gesperrt, ansonsten läuft der Verkehr normal weiter.

Flüchtlinge, die aus Kroatien im slowenischen Dobova eintreffen, werden kontrolliert Foto: Darko Bandic/ap

Die Zusammenarbeit zwischen den Polizeien beider Seiten wird auf lokaler Ebene organisiert und funktioniere sehr gut, erläutert Domen Torkar, der Leiter des Unterbringungszentrums. Für 800 Menschen ist die mehrfach geteilte Halle ausgelegt, bis zu 1.000 könne sie aber mit einiger Mühe aufnehmen, sagt Tokar. In der Nacht auf Mittwoch sind es 1.150.

Tokar ist seit zwölf Jahren beim Zivilschutz, davor war er in der Armee. Am Mittag deckt er die Verpflegungskisten in seinem improvisierten Büro mit Planen ab, die Hallen werden gleich desinfiziert. In den ersten beiden Segmenten ist bereits niemand mehr, im letzten liegen noch Menschen auf den eng gestellten Feldbetten und warten darauf, über die Brücke geführt zu werden. Einer fragt, ob dort bereits Deutschland sei.

Drei Container mit Duschen stehen hinter der Halle. Eine weitere Wasserstelle mit sechs Hähnen wird als Waschstelle benutzt. T-Shirts und Socken hängen zum Trocknen über dem Zaun. Es sind immerhin 12 Grad.

In zwei Stunden kommen die nächsten Flüchtlinge, bis dahin müssen Reinigung und Desinfektion der ersten Segmente abgeschlossen sein. Eine Verschnaufpause für die Helfer von Rotem Kreuz und Caritas.

An einigen Stellen ist das blaue Logo des UNHCR zu sehen – Decken und Dolmetscher hat die Organisation herangeschafft. Vor der Halle sitzen Soldaten, wieder bewaffnet, in der Sonne „Und, kommen Sie zurecht?“ „Wir müssen ja“, sagt Torkar, sichtlich stolz auf den vergleichsweise reibungslosen Ablauf in Gornja Radgona.

Währenddessen sammeln sich 130 Kilometer entfernt in Dobova wieder Hunderte für den Weitertransport in Bussen. Familien mit Kindern werden vorgezogen. Ob es nach Sentilj oder Gornja Radgona geht, erfahren sie erst im Bus. Leichter Brandgeruch von wärmenden Feuern liegt über dem Dorf. Kamerateams aus Kroatien, Österreich und Deutschland filmen die Busschlange ab, werden von Polizisten hinter die Absperrlinien verwiesen. Ihre Kollegen in Sentilj treffen bald die selben Menschen auf der nächsten Etappe.

Bisher haben es sowohl Slowe­nien als auch Österreich vermieden, ihre jeweiligen Planungen zur Grenzsicherung anders denn als „bauliche Maßnahmen“ zu bezeichnen. Am Mittwoch jedoch sprach die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in einem Interview erstmals das „Z-Wort“ aus. „Natürlich geht es auch um einen Zaun“, auch wenn es nicht darum gehe, „die Grenze dicht zu machen“, so Mikl-Leitner im Morgenmagazin des Ö1.

Die Begründung dafür ist, dass in den vergangenen Tagen mehrfach eine wachsende Ungeduld bei den Flüchtlingen zu beobachten gewesen sei, die auch zu aggressiverem Verhalten geführt habe.

Kritisch äußerte sich die Ministerin auch in Richtung Deutschland. Die Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel, Syrer nicht zurückzuschicken, habe diesen „beispiellosen Flüchtlingsstrom“ erst ausgelöst. „Signale erzeugen Wirkung und diese Wirkung spüren wir.“ (dk)

Wie lange das so weitergehen wird, ist offen. Öffentlich wird die Drohung, die Grenze zu Kroatien ganz zu schließen, immer lauter. In den Chor reiht sich die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ein, deren Ankündigung „technischer Sperren“ vor Spielfeld in Slowenien eben nicht als Versuch der besseren Steuerung des Grenz­übertritts, sondern perspektivisch als dessen Verhinderung angesehen wird.

Auch sinkt die Hoffnung auf nachhaltige Hilfe aus Brüssel und Berlin. Einhelliger Tenor in der Presse ist die Sorge vor dem Auseinanderbrechen der Europäischen Union.

Delo, größte Tageszeitung Sloweniens, unterstellt, dass der Brüsseler Gipfel lediglich eine Show für Kanzlerin Angela Merkel war, um die eigene Partei zu beruhigen. Eine Antwort auf die Situation, die keine Flüchtlingskrise, sondern eine des Humanismus sei, stehe noch aus.

Am Mittwochmorgen gibt es keine Grenze zwischen Herbstnebel und Wolken über der Zeltstadt in Sentil. Kein Sonnenstrahl erreicht den Parkplatz, der sonst von Lkw-Fahrern auf ihren transkontinentalen Touren als Rastplatz genutzt wird. Auf der Autobahn darüber eilen die Berufspendler aus Maribor nach Graz.