Die Popkultur der Wüste

MUSIK Am Sonntag spielt die „Queen of Desert Blues“ Khaira Arbyi im Lido. Wie viele andere Künstler_innen Westafrikas floh sie vor einem zerstörerischen Dschihad. Ein Film erzählt vom musikalischen Widerstand Malis

Die Musik im Vielvölkerstaat Mali transportiert universale Werte

von Janto Rößner

Am 22. August 2012 hörte man von den Rundfunkstationen Nordmalis folgendes State­ment: „Wir, die Mudschaheddin von Gao, Timbuktu und Kidal, verbieten ab dem heutigen Tag die Ausstrahlung westlicher Musik auf allen Radiostationen des islamischen Gebiets. Wir wollen Satans Musik nicht.“

Diese Worte stammen von Ould Abdel Kader, einem Sprecher der Mujao-Organisation, einer der drei im Norden Malis operierenden islamistischen Gruppen, die den Dschihad predigten und die Scharia von der malischen Stadt Gao im Norden des Landes aus zeitweise etablieren konnte. Gao wurde zuletzt 2012 von islamistischen Gruppen eingenommen. Sie hatten den seit 1963 immer wieder aufflammenden Unabhängigkeitskampf der Tuareg für ihre eigenen Interessen genutzt. Die MNLA (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad), eine von Tuareg geführte paramilitärische Vereinigung, hatte sich wiederum zum eigenen Nutzen kurzzeitig mit den Islamisten zusammengetan. Während allerdings die Tuareg im Frühjahr 2012 einen Staat „im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen“ ausriefen, stellten sich die radikalen Kräfte gegen eine Revolution, „die nicht im Namen des Islam geschieht“. Die aus undurchsichtigen Quellen massiv subventionierten Dschihadisten vertrieben die ehemaligen Verbündeten aus den gemeinsam eroberten Schaltzentren Gao, Kidal und Timbuktu. Erst Anfang 2013 konnte die malische Armee die Gotteskrieger mit Hilfe einer militärischen Intervention der Franzosen zurückdrängen.

Schon in den 1990er Jahren waren pakistanische Salafisten nach Bamako gekommen. „Die Leute sahen sie mit ihren Bärten und weißen Gewändern“, erinnert sich Manny Ansar, Gründer des weltberühmten Festival au Désert, „sie waren nett.“ Zu dieser Zeit bestimmte der na­tio­na­listische Unabhängigkeitskampf der Tuareg im Norden Malis die öffentliche Aufmerksamkeit. Damals managte Ansar die mit einem Grammy ausgezeichnete Tuareg-Band Tinariwen, welche aktiv an Revolten teilgenommen hatte und die langsame Radikalisierung in ihrem Umfeld miterlebte. „Es gab eine Art psychologischer Vorbereitung,“ sagt An­sar, „dann begannen sich bestimmte Freunde Stück für Stück aus unserem Kreis zu lösen. Ihnen gefiel mein Lifestyle nicht mehr, das Reisen, meine Freundschaft zu Europäern und Amerikanern, die Festivals, Musiker, Alkohol, das schöne Leben.“ Mit der uneingeschränkten Machtübernahme der Dschihadisten 2012, wurden ein solches Leben tabuisiert.

Für die Musiker im Norden Malis, gleich ob Songhai, Bambara, Berber oder Tuareg, kam dies einem Verbot zu atmen gleich. ­Generationenübergreifend, unabhängig von Volkszugehörigkeit und abseits der Traditionalität transportiert die Musik in diesem Vielvölkerstaat universale Werte und Geschichte. Auch in der Popkultur. Tradi­tio­nell hat die mündliche Überlieferung im Vergleich zur europäischen Kultur einen sehr viel höheren Stellenwert als die schriftliche. Der kanadische Geisteswissenschaftler Marshall McLuhan sieht in der typografischen Kultur des Westens den Grund für die „Reduktion unserer gesamten Sinneserfahrung auf den Bereich eines einzigen Sinnes“. Ein Buch liest man allein. Die mündliche Überlieferung verlangt nach Präsenz, Geselligkeit, sozialen Fähigkeiten, Beobachtungsgabe und Erinnerungsvermögen. Die Aufnahme von Wissen findet durch eine ganzheitliche Sinneserfahrung statt und die Musik ist Kommunikationsmittel und Medium für die Vermittlung von Wissen.

Bevor die Extremisten schließlich aus den Städten zurückgedrängt wurden, nahmen sie ortsansässigen Musikern ihre Instrumente ab und verbrannten sie. Sie sammelten säckeweise Kassetten ein, plünderten einzigartige Archive mit einmaligen Aufnahmen und verbrannten auch diese. Sie zerstörten Radiostationen und Studios, und nicht zuletzt drohten sie den Künstlern mit Verfolgung und Tod.

Dies alles zwang viele Musiker zur Flucht aus ihren Heimatstädten. So auch Khaira Arby, international bekannte Sängerin aus Timbuktu, auch „Queen of Desert Blues“ genannt. Auch die mittlerweile bei ­Atlantic Records verpflichtete Band Song­hoy Blues, deren Mitglieder zu drei Vierteln aus Timbuktu und Gao geflohen waren, kämpft mit musikalischen Mitteln um die Sichtbarmachung der Pro­ble­me, nicht nur Malis.

„Diese Probleme sind nicht hausgemacht“, so ihr Manager Marc-Antoine Moreau. „Es gibt sie erst seit den willkürlichen Grenzziehungen der ehemaligen Kolonialmächte und aufgrund der anhaltenden Ausbeutung natürlicher Ressourcen.“ Der französische Atomriese Areva baut einen Großteil des malischen Urans ab, interna­tio­nale Konzerne mit Namen wie Anglo American schürfen nach Gold, Monsanto verkauft den Bauern einmalig nutzbares Saatgut inklusive Pestiziden, Amerika subventioniert ausschließlich den Export von Baumwolle. Billige Schürfrechte werden von korrupten Politikern verhökert, während die westliche Entwicklungshilfe das Land in künstlicher Abhängigkeit halte. „Leider besteht diese Abhängigkeit auch in der Popkultur Malis beziehungsweise Westafrikas. Viele Musiker sind immer noch auf künstlerische Kooperationen mit westlichen Kulturschaffenden ­angewiesen,“ Der als Scout für das britische Projekt Africa Express malische Musiker rekrutiert, „aber das ändert sich, denn die popkulturellen Märkte wachsen rasant“.

Ihre Worte und ihre Musik haben sich die Malier nicht wegnehmen lassen. Sie kommen von ihnen, sie erzählen von ihnen, und sie bilden nach wie vor den Grundpfeiler einer vielschichtigen Kultur.

Khaira Arby: Film und Konzert

Khaira Arby im FIlm „They Will Have to Kill Us First“ (2015) von Johanna Schwartz Foto: Promo

Khaira Arby, Ikone des auch auch im Westen populären „Desert Blues“ und politische Aktivistin aus dem malischen Timbuktu feierte 2010 ihr internationales Debüt und tourte durch Nordamerika. Ihre Verwurzelung in der traditionellen Kultur der Region um ihrer Heimatstadt tut ihrer popkulturellen Relevanz keinen Abbruch. Ihre Themen sind konkret politisch und sozial. Anlässlich des Konzertes wird der Dokumentarfilm „They have to kill us first“ über den Kampf malischer Musiker gegen das von islamistischen Extremisten ausgesprochene Musikverbot gezeigt.

Khaira Arby – Film und Konzert: Lido, Cuvrystraße 7, 1. 11., Einlass 18, Beginn 19 Uhr, Vvk 18 € / Ak 23 €