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Zurück in die Zukunft

OFFENE GRENZEN Das Festival Überjazz hat vor fünf Jahren den Sprung über alle Genregrenzen gewagt. Das haben sich viele abgeguckt. Ist jetzt die Puste raus?

„Über“ in jedem Fall: Aber ist das noch Jazz? Matthew Herbert kehrt auf den Dancefloor zurück – und auf die Kampnagel-Bühne

von Robert Matthies

Vor fünf Jahren war das Festival „Überjazz“ für das Jazzbüro Hamburg ein Riesenschritt nach vorn – und einer über sich selbst hinaus: Bis dahin hatte das Netzwerk mit den „Hamburger Jazztagen“ fünf Jahre lang mit bescheidenem Erfolg versucht, die lokalen Szene – die man bis dahin ja auch nur in einschlägigen Kellerclubs oder im ehrwürdigen akademischen Rahmen zu Gehör und Gesicht bekommen hatte – gemeinsam mit internationalen Stars auf eine Bühne zu bringen. Das Niveau der Jazztage: immer hoch. Das Budget: immer zu klein. Und viel zu oft kam nur wenig Publikum.

Ganz neu aufgelegt wurde die Reihe mit dem „Überjazz“ deshalb, in enger Zusammenarbeit mit der Jazzredaktion des Norddeutschen Rundfunks. Vor allem aber mit finanzstarker Unterstützung durch die Konzert­agentur Karsten Jahnke und die Kulturfabrik Kampnagel: zwei, die nicht nur über die entsprechenden Ressourcen verfügten, sondern auch Willens waren, Hamburg einen festen Platz auf der internationalen Jazzlandkarte zu sichern.

Gewachsen ist nicht nur Budget und Rahmen, sondern vor allem das musikalische Spektrum: Ambitioniert, vielleicht sogar ein bisschen übermütig sollte beim „Überjazz“ all das zusammenkommen, was zumindest irgendwie noch im ohnehin schon weit verzweigten Feld des zeitgenössischen Jazz angesiedelt ist. Klangsprachlich sollte es weit über die gewohnten Sprechweisen hinausgehen: ein entschiedener Schritt über angestammte Reviergrenzen hin­aus, ein Befreiungsschlag.

Tatsächlich wurde Puristen – die vom Jazz ja gewohnt waren, in Vergangenheitsform zu erzählen – bei manchem, was da vor allem spät nachts im Kampnagel-Club KMH geboten wurde, richtig schwindelig: zum „Blackjazz“ im Death-Metal-Gewand der norwegischen Kombo Shining oder zum überdrehten Wahnsinn der japanischen ­Freaks von Soil & „Pimp“ Sessions hat sich die klassische Dixieland-Fraktion nur für kurze Stippvisiten verirrt. Umso ausgelassener tanzte da ein junges Publikum, das man eher auf Hip-Hop-Konzerten vermuten würde.

Jede Menge tolle Sachen gab es in den vergangenen Jahren zu entdecken und die Zusammenkunft von stilistischer Vielfalt und Offenheit funktionierte gut: Man ließ sich durch vier Hallen, ein Foyer und allerhand nicht mehr eindeutig Zuzuordnendes treiben – und wenn man eines Konzertes überdrüssig wurde, schaute man einfach in der nächsten Halle vorbei. Und als Sahnehäubchen gab es auch für die Puristen exquisite Legenden-Kost.

Irgendwie schient dem ambitionierten Festival doch die Luft auszugehen. Wer mal in Jazz hin­einschnuppern oder große Namen hören will, der tut das heute zwischen Kähnen und Kränen beim Elbjazz-Festival – und auch da findet man heute etliches, das weit über klassische Genregrenzen hinausgeht. Wer noch ausdrücklicher Interesse hat am Jazz-Grenzgängerischen, findet Gleichgesinnte eher beim kleinen Festival „Jazz and the Edge of the Plate“ im Golem. Und die lokale Szene, die präsentierte sich beim „Überjazz“ zuletzt immer weniger.

Aber nun, so scheint es, holt das Festival noch einmal Luft und versucht, das eigene Profil wieder zu schärfen. Oder wie soll man verstehen, dass etliches, was dieses Jahr auf dem Programm steht, dort in den vergangenen Jahren schon mal stand? Und sozusagen noch mal in Erinnerung gerufen wird? Mag aber auch sein, dass es gar nicht so leicht ist, immer neuen „Überjazz“ ausfindig zu machen.

Die Sons of Kemet um Saxofonist und Klarinettist Shabaka Hutchings, die waren im vergangenen Jahr schon da. Colin Stetson hat seinem Saxofon mit seiner eigenwilligen Zirkulartechnik im Jahr davor schon merkwürdig grummelnd-mäanderndes Wehklagen entlockt. Die norwegischen Black-Metal-Jazzer Shining, die waren schon im ersten Jahr dabei. Und Matthew Halsall, der stand in der zweiten Ausgabe schon mal auf der Bühne.

Aber damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch diesmal gibt es wieder allerlei Spannendes zu entdecken. Und versprochen: Hingehen lohnt sich immer noch. Nur: Als mit irgendeinem Bein im Jazz Stehendes lässt sich auch mit gutem Willen immer weniger bezeichnen.

Matthew Herbert zum Beispiel – arbeitswütiger Sam­ple-Spezialist, House-Aficionado und Komponist konzeptioneller Popmusik, der auch mal das Leben und Sterben eines Hausschweins akustisch dokumentiert, kehrt mit seinem Herbert-Alias auf den Dancefloor zurück. Der Grieche Theodore wiederum präsentiert sinfonischen Pop mit Postrock- und Minimal-Piano-Einflüssen. Und Dam-Funk aus Los Angeles spielen, nun ja, irgendwie Funk eben.

Das ist alles mit feiner Hand ausgesucht und wer offen für neue Eindrücke ist, der wird auch diesmal ganz beseelt spät nachts nach Hause gehen. Aber „Überjazz“? Das klingt jetzt wie eine Idee von gestern. Mission accomplished?

Fr, 30. 10., und Sa, 31. 10., 19 Uhr, Kampnagel

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