Stadtgespräch
: Der Tontopf spricht

Um Albinos zu schützen, hat Tansania Magier verboten. Aber im Wahlkampf sind sie wieder gefragt

Ilona Eveleens Aus Arusha, Tansania

Albinos bringen Glück. In Tansania, wo mehr Menschen mit Albinismus – dem Fehlen von Pigment in der Haut – leben als irgendwo sonst auf der Welt, glauben das besonders viele, auch Politiker. Zweifelhafte Medizinmänner verarbeiten Körperteile von Albinos in Pulver und kostbare Amulette. Ein Albino bringt nach Verarbeitung rund 75.000 Euro.

Seit 2000 wurden 76 Albinos in Tansania getötet und weitere 34 haben einen Angriff überlebt, aber sie haben Arme oder Beine verloren. Mindestens 15 Gräber von Albinos wurden geöffnet, und ihre Überreste sind verschwunden. Albinos sind daher selten auf der Straße zu sehen. Tagsüber verstecken sie sich vor der Sonne, die ihre weiße Haut verbrennt, in der Nacht vor den Verbrechern, die ihre Körper jagen. Albinokinder sind am stärksten gefährdet. „Oft sind Verwandte, manchmal auch Väter an der Entführung und Ermordung beteiligt. In solchen Fällen hält jeder den Mund“, berichtet Severin Edward von der tansanischen Albinogemeinschaft. Erst seit wenigen Jahren geht der Staat hart dagegen vor. Bis jetzt wurden aber nur etwa zwanzig Menschen verurteilt, darunter vier Ehemänner von ermordeten Albinofrauen.

Voriges Jahr beschloss die Regierung ein Berufsverbot für Medizinmänner – um den Tötungen ein Ende zu setzen. Es gibt Tausende von Naturheilern und Magiern in Tansania. Die Nachfrage ist groß, weil die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt und sich keinen Arzt leisten kann.

Aber jetzt ist Wahlkampf, und das Berufsverbot ist in Vergessenheit geraten. „Wahlen sind goldene Zeiten für mich“, sagt Christian Kidanga, ein 35-jähriger Medizinmann im nordtansanischen Arusha. „Normalerweise habe ich zwei oder drei Besucher pro Tag, aber jetzt manchmal fünfzehn. Das sind vor allem Politiker und Staatsbeamte, die wissen wollen, was sie tun müssen, um die Wahlen zu gewinnen.“

Den Arbeitsplatz von Christian Kidanga umgibt ein halbes Dutzend Lappen, die von einem rostigen Wellblechdach hängen. Er sitzt auf einem kaputten schmutzigen Sofa. An seinen Füßen stehen staubige Gläser unklaren Inhalts. Es gibt eine klapprige Holzbank für Besucher.

„Menschen mit wenig Geld, die um meine Hilfe bitten, berechne ich nicht viel. Aber die Politiker und Beamten sind reich“, sagt er mit einem breiten Grinsen, das erhebliche Lücken in seinem Gebiss zeigt. In einem Schulheft führt er Buch: Üblicherweise nimmt er rund einen Euro, manchmal ein Huhn oder eine Packung Zigaretten. Aber in den letzten Wochen gibt es Einnahmen von umgerechnet 20 Euro und mehr.

Seine Ratschläge für den Wahlsieg kommen ihm im Traum, verrät er. Diese Träume hat er, seit sein Großvater, auch ein Naturheiler, ihn als seinen Nachfolger designierte und kurz darauf starb. Einem Politiker riet Kidanga vor Kurzem, drei Tage lang kein Bier zu trinken. Ein anderer soll eine ganze Woche lang zu jeder Mahlzeit eine Handvoll rote Pfefferschoten essen.

Arusha ist modern; hier haben die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) und das UN-Völkermordtribunal für Ruanda (ICTR) ihren Sitz, und das Städtchen ist ein Zentrum des Tourismus. Kidangas Arbeitsplatz dürften die wenigsten Besucher finden. Der ist versteckt in einem Gewirr von ölverschmierten Gassen, wo es unendlich viele kleine Autowerkstätten gibt.

Daher stört ihn auch das offizielle Berufsverbot wenig. „Ich habe mich auch dieses Jahr offiziell registriert, zudem bringt der Lokalsender meine Werbung“, sagt Kidanga. Er findet das Berufsverbot unfair. „Die Leute, die Albinos verwenden, sind keine Medizinmänner, das sind Kriminelle.“ Seine Medikamente stelle er alle aus dem Baobab-Baum, bekannt für seine vielen Heilstoffe, her.

Kidangas wirkliches Geheimnis steckt in einem hässlichen Tontopf. Dort, sagt er, sitzt die Stimme seines Großvaters. Als ich ein wenig Geld hineinstecke, klingt eine jugendliche Stimme aus der Richtung des Topfes. „Danke, Ausländerin. Dafür werde ich Ihnen ein Geheimnis verraten. Die Opposition wird die Wahlen gewinnen!“