Schüsse, Blockaden und Geiselnahmen

ZENTRALASIEN Erneut eskaliert im Ferghanatal ein Dauerkonflikt zwischen Usbeken und Kirgisen. Sie streiten über den Verlauf von Grenzen. Diese sind komplett willkürlich und ein Erbe aus Sowjetzeiten

AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN

Im Ferghanatal, im Herzen Zentralasiens, tobt ein Streit um Strommasten und Grenzmarkierungen. Kurz nach Neujahr eskalierte der Konflikt. Es kam zu Schusswechseln mit Verletzten und Geiselnahmen. Zudem entstand erheblicher Sachschaden.

Mehrere hundert Einwohner der usbekischen Enklave Soch, die von kirgisischem Territorium umschlossen ist, überfielen am 6. Januar einen kirgisischen Grenzposten, demolierten Stromleitungen und Transistoren. Die Protestler aus Soch sahen die Staatsgrenze durch kirgisische Stromleitungen verletzt. Die kirgisischen Grenzer griffen zu den Waffen. Eine Handvoll Männer aus Soch erlitt Schussverletzungen. Daraufhin überfiel die aufgepeitschte Menge aus der Enklave ein kirgisisches Grenzdorf und verschleppte auf den Rückweg Dutzende Geiseln nach Soch. Nach Verhandlungen zwischen Usbekistan und Kirgistan kamen die gekidnappten Kirgisen am 7. Januar wieder frei. Einige von ihnen mussten ärztlich behandelt werden.

Auch wenn Kirgistan und Usbekistan versichern, den jüngsten Grenzkonflikt gemeinsam aufklären zu wollen, schieben sich die zentralasiatischen Staaten gegenseitig die Verantwortung zu. Bis heute ist jeglicher Grenzverkehr eingestellt. Weder Waren noch Personen kommen nach Soch, die Preise für Nahrungsmitteln steigen. Zudem blockieren Kirgisen die Zufahrtswege in die Enklave.

„Streitigkeiten müssen friedlich durch Dialog gelöst werden“, appelliert der ukrainische Außenminister und amtierende Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE), Leonid Kozhar, an die Konfliktparteien. Doch derartige Appelle der OSZE bleiben besonders in diesem Teil Zentralasiens ungehört. „Die willkürliche Grenzziehung ist das zerstörerische Erbe der Sowjetunion“, sagt Deirdre Tynan von der International Crisis Group. Die Grenzverläufe zwischen Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan verknoten sich in dem bevölkerungsreichen Landbecken unweit der chinesischen Grenze, in dem mehr als 10 Millionen Menschen leben. Das eigentliche Tal gehört hauptsächlich zu Usbekistan und wird nördlich und südlich von einem kirgisischen Landarm umschlossen. Vom Süden schiebt sich zudem noch wie ein Wurmfortsatz tadschikisches Staatsgebiet dazwischen.

Für kartografisches Chaos sorgt auch, dass der südliche kirgisische Landarm eine tadschikische und zwei usbekische Landinseln, darunter auch die Enklave Soch, vollständig umschließt. Zudem wohnen auf der Landinsel, die zu Usbekistan gehört, nicht turkstämmige Usbeken, sondern Tadschiken.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die lediglich administrativen Grenzen der Sowjetrepubliken zu Staatsgrenzen und die Probleme begannen. Trotz unzähliger internationaler Projekte zur Vertrauensbildung und Konfliktvermeidung im Ferghanatal belauern sich seit 20 Jahren die Staaten und die jeweiligen Grenzbewohner. „Die Staaten der Region sind bis heute nicht fähig, zum Nutzen der Bevölkerung zusammenzuarbeiten“, sagt Tynan. Gestritten wird um alles. Wasser, Durchfahrten, Zölle und Grenzverläufe. Durch Soch führt die Hauptstraße zwischen den kirgisischen Städten im Süden, Osch und Batken. Da sie immer wieder gesperrt wird, müssen die Passagiere einen mehrstündigen Umweg auf sich nehmen. Die 70.000 Einwohner von Soch leben in ständiger Konkurrenz mit dem kirgisischen Nachbarn. Im Frühjahr und Sommer bewachen die Alten der Enklave die Kanalabzweigungen, damit Einwohner der kirgisischen Nachbardörfer nicht das Wasser stehlen.

Der Grenzzwischenfall belastet die angespannten usbekisch-kirgisischen Beziehungen. Im Sommer hatte Usbekistans Präsident Karimow mit einem Krieg gedroht, sollte Kirgistan am Ausbau der Wasserkraft festhalten.