Wie weiter handeln?

Was auf den Berliner Protestmarsch gegen die Freihandels-­abkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) folgt

"TTIP mobilisiert Menschen wie die Friedensbewegung"

Proteste Nach den Erfahrungen der Finanzkrise sind grenzenlose Liberalisierung und Privatisierung nicht mehr zeitgemäß, sagt Demo-Organisator Stolper

Ernst-Christoph Stolper

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55, war grüner Wirtschaftsstaatssekretär in Rheinland-Pfalz und ist einer der Gründer der europäischen Bürgerinitiative „Stopp TTIP“.

taz: Herr Stolper, noch vor Kurzem war Freihandel ein absolutes Spezialistenthema. Wie hat es das Stopp-TTIP-Bündnis geschafft, mehr als 200.000 Menschen zur Demonstration nach Berlin zu bewegen?

Ernst-Christoph Stolper: Das Thema TTIP mobilisiert Menschen wie früher die Friedens­bewegung, die Bewegung gegen die Atomkraft oder der Irakkrieg. Es gibt fast keinen Ort in der Republik, an dem nicht eine Initiative gegen TTIP ent­standen ist. Dahinter steht ein sehr breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kultur, Demokratie-, Sozial- und Umweltverbänden.

Aber wieso beschäftigen sich Hunderttausende gerade mit einem so abstrakten Thema?

Weil es um etwas geht, worum wir lange gekämpft haben: um soziale und ökologische Standards, um Demokratie, um die Zukunft des Rechtsstaats. Mit TTIP würden viele Rechte stark eingeschränkt. Zum Beispiel mit der vorgesehenen regulatorischen Kooperation, bei der Konzerne vor Gesetzsvorhaben konsultiert werden sollen, oder den Investorenklagerechten, mit denen Unternehmen von Staaten Schadensersatz einklagen können.

Kommentatoren kritisieren, dass TTIP-Gegner gemeinsame Sache mit Rechten machen, etwa weil sie antiamerikanisch seien. Müssen Sie sich nicht stärker gegen rechts abgrenzen?

Wir haben uns klar gegen rechts abgegrenzt vor der Demonstration und bei der Demonstration. Wir sind weder antiamerikanisch noch nationalistisch. Solche Kommentare verdrehen die Tatsachen. Die TTIP-Befürworter sind jetzt so nervös, dass sie in die unterste Schublade greifen, um uns zu diskreditieren.

Kippt TTIP?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass TTIP wie geplant realisiert wird. Aber solche Abkommen sterben selten in einem großen Big Bang, sondern meist auf der Zeitschiene. Es gibt eine Menge Hindernisse für TTIP, etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Datenschutz zwischen der EU und den USA, die US-Präsidentschaftswahlen in oder die Wahlen in Deutschland und Frankreich 2017.

Die Verhandlungen ziehen sich noch Jahre hin. Wie bleibt der Protest lebendig?

In ganz Deutschland sind viele Aktionen auf kommunaler Ebene geplant. Im Februar soll eine Konferenz stattfinden, um die Initiativen zusammenzuführen. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und vor den Bundestagswahlen werden wir weiter Druck machen. Dabei wird es auch um positive Alternativen zu TTIP und eine andere Wirtschaftspolitik gehen.

Vor mehr als 30 Jahren haben Sie die großen Friedensdemos im Bonner Hofgarten organisiert, jetzt den Anti-TTIP-Protest an der Berliner Siegessäule. Gibt es Parallelen?

Die Friedensbewegung hat die politische Stimmung einer ganzen Generation geprägt. Das wird auch jetzt wieder so kommen. TTIP ist ein Projekt, das aus der Zeit gefallen ist. Es stammt aus einer Zeit, in der grenzenlose Liberalisierung und Privatisierung angesagt waren. Das wollen die Menschen nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise nicht mehr.

Interview Anja Krüger