KURZKRITIK: „ÖDIPUS, TYRANN“, THALIA THEATER
: Zähe Bedeutungsschwere

Bei so viel Präsenz hängt man ihm an den Lippen, und doch zieht sich der Abend in die Länge, bis sich Ödipus blendet

Die Uhr tickt unüberhörbar. Ödipus (Bernd Grawert) hockt auf einem Stuhl, und seine eingeknickten Füße imitieren das Geräusch von Uhrzeigern. In Theben ist die Pest ausgebrochen, der Chor klagt laut, Boten überbringen unheilvolle Nachrichten. Dunkel-angespannte Atmosphäre herrscht auf der Bühne des Thalia, die für Dimiter Gotscheffs Inszenierung von „Ödipus, Tyrann“ nackt gemacht ist: schwarze Brandmauern und ganz hinten eine Fahrstuhltür, die auf- und zuschnurrt, mal Ödipus, mal Jokaste oder den siebenköpfigen Chor ausspuckt.

Bernd Grawerts Ödipus im blauen Pulli ist sofort erkennbar. Scheinbar ein starker Fels in der Brandung, und doch unfähig, den Lauf des Schicksals abzuwenden. Bei so viel Präsenz hängt man ihm an den Lippen, und doch zieht sich der Abend in die Länge, bis sich Ödipus schließlich blendet. Schicksal, Schuld, Wahrheit – viel Text wird gesprochen, schöne hohe Worte, von Sophokles gedichtet, von Hölderlin übersetzt, von Heiner Müller bearbeitet. Den großen Bedeutungsraum kann Regisseur Dimiter Gotscheff aber nicht eröffnen. So wie auch der geschnürte gelbe Riesen-Sack, der bedeutungsschwer über der Bühne baumelt, seinen Inhalt nicht preiszugeben vermag. SIMONE KAEMPF

nächste Vorstellungen: heute, 12., 23. 12., 2. und 14. 1., Thalia Theater