Warum ist miese Werbung so gut und Gute so mies?
: Sex sells – Öko nicht

Wir retten die Welt

von Bernhard Pötter

Meine Schenkel brennen vor Verlangen“. Irgendein Prophet hat den Spruch am Potsdamer Platz an alle Mülleimer geklebt, als ich dort an diesem sonnigen Herbsttag vorbeiächze. Der Schweiß brennt in den Augen, meine Lunge pfeift wie ein Blasebalg mit Löchern und meine Schenkel – nun ja, sie brennen vor Verlangen: endlich nichts mehr zu tun außer hinsetzen und ausruhen.

Dann blicke ich nach rechts und sehe das haushohe Plakat: ein paar joggende Füße, die über die Straße stolpern, dazu ein Lob aus dem Bundesumweltministerium: „42 Kilometer ohne Auto! Ihr wisst, wie Klimaschutz läuft!“. Deutschlands oberste Ökobeamte wünschen mir einen guten Lauf beim Berlin-Marathon. Normalerweise bin ich da für jede moralische Unterstützung dankbar und für Klimaschutz sowieso immer zu haben. Aber bei Kilometer 38 sind mir Emissionen und die Rettung der Welt herzlich egal. Ich würde auch sofort in einen Diesel-VW steigen, wenn er mich nur mit einer akzeptablen Zeit hinter die Ziellinie brächte.

Eine Dusche, zwei Stunden und drei alkoholfreie Weißbiere später denke ich: Was hat mich an der eigentlich netten Aktion so gestört? Dass ich gerade eher Werbung für eine Dentalklinik angemessen fand, weil ich so auf dem Zahnfleisch kroch? Und warum ist das Gegenteil der Reklame für den guten Zweck, nämlich Werbung für die schlimmsten Umweltschweinereien, so gut und erfolgreich?

Ein Blick ins Fernsehen, Internet oder die Zeitungen: Die fragwürdigsten Produkte haben die beste PR. Das muss wohl so sein, um unser schlechtes Gewissen dabei zu kaschieren, aber lustig anzusehen sind sie trotzdem: die VW-Reklame mit dem kleinen Jungen, der mit „der Macht“ von Star Wars das Auto öffnet; ein Paar streitet darüber, wer bei der Party nicht trinkt, damit er/sie das Auto nach Hause fahren; RWE wirbt mit John Lennons Zukunftshymne „Imagine“ für seine Energie der Vergangenheit; coole Typen, die sich bei Lieferando fettiges Essen bestellen, oder fette Typen, sie sich cooles Essen bringen lassen; Frauen, die beim Zalando-Schuhshopping in ekstatische Schreie ausbrechen; Fußballstars, die lachend Bier trinken, Dirk Nowitzki mit Reklame für Autokredite.

Was steht dagegen? Gut, Solarworld schickte mal Lukas Podolski ins Rennen für Sonnenenergie. Und das Umweltministerium wirbt immer mal damit, für die Energiewende und guten Sex sei es förderlich, das Licht auszumachen. Aber könnten nicht mal die Fahrradhersteller im Werbeblock der „Sportschau“ Bremsspuren hinterlassen? Wo sieht man tatsächlich halbwegs glückliche Kühe, die auf dem Biohof leben? Reklame für Zwiebeln aus biologisch-dynamischen Anbau, die nicht auf die Tränendrüse drückt? Sexy Blondinen im Gegenlicht, die auf ethisches Invest­ment scharf sind? Oder: ganz große Kunst: „Tatort“-KommissarInnen, die, statt in PS-Boliden rumzuschleudern, einfach im Liegestuhl abhängen und fürs Fairphone werben. Oder fürs Nichtstun.

Ganz Avantgarde ist da wieder mal Greenpeace. Die Umweltretter haben angedroht, sie würden beim Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall mitbieten, um die Tagebaue und Kraftwerke zu übernehmen und dann stillzulegen. Zwei Milliarden Euro aus Spenden und Crowdfunding einsammeln, um das Geld dann in der Lausitz zu vergraben! Das ist fast so verrückt wie die Idee der anderen Bieter, die Braunkohle weiter zu verbrennen. Und genau der Irrsinn, von dem gute Werbung lebt.