Applaus für den Genossen

AUFTRITT Gianis Varoufakis, Franco Bifo Berardi, Srećko Horvat und Guillaume Paoli im routinierten Disput unter Linken vor ausverkauftem Haus in der Berliner Volksbühne

Gianis Varoufakis mit Gast- und Stichwortgeber Guillaume Paoli Foto: Darmer/davids

von Jan Feddersen

Der Name zieht, die Programmgestalter der Volksbühne in Berlin dürfen gewusst haben, dass ein tiefer politischer Fall wie der des griechischen Politikers Gianis Varoufakis dessen Popularität in den Zirkeln der Salon- und linken Linken nichts etwas anhaben kann. Im Gegenteil. Der Wirtschaftswissenschaftler fiel aus dem Kabinett Alexis Tsipras’, aber er reist nun durch Europa, hält Vorträge, sammelt Eindrücke – und dass er kommen würde, zog in Berlin diese leichte Zuschauerpanik, typisch für heiße Diskursware, nach sich, ob man in den Großen Saal noch hineinkommen würde.

Varoufakis jedenfalls bekam, kaum hinter dem Vorhang hervorgetreten, mächtigen Applaus. Mit ihm disputierten der in linken Kreisen wohlbekannte italienische Philosoph Franco Bifo Berardi, sein kroatischer Kollege Srećko Horvat und Gastgeber Guillaume Paoli. Letzterer als Moderator, das heißt in seinem Fall als Stichwortgeber. Der Grieche, ausgesprochen gut gelaunt, konnte ausladend berichten, was das Publikum ohnehin wissen musste, flüchtiger Medienkonsum reichte für die goldenen Vokabeln, die Varoufakis aufzusagen hatte. Wie desinteressiert an wirklich politischen Lösungen die EU-Spitzenpolitiker waren, wie sehr die Eurogruppe das eigentliche Machtzentrum der EU ist und wie enttäuschend war, dass selbst der Sozialdemokraten nahestehende oder angehörende Kader der EU die Linke im Stich ließ: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi etwa.

Bifo Berardi sekundierte mit bewundernswerter Routine. Für die Linke habe das alles keinen Sinn, es bestehe kein Anlass für Optimismus, gleichwohl er auch nicht in Pessimismus verfallen wolle, aber man denke nur an TTIP und andere schlimme politische Projekte auf der europäische Agenda, dann erkenne man, wie übel es um eine gute Politik bestellt ist. Srećko Horvat hingegen, der in gut zwei Stunden zu kaum mehr als vier­prozentigem Redeanteil kam, landete anfangs einen hübschen Treffer mit der Beobachtung, er habe es satt, dass man immer den gleichen, gestrigen Modi anhänge als Linke – überschäumender Jubel über Syriza, jetzt die gleiche Begeisterung über den britischen ­Labour-Chef Jeremy Corbyn: Für ihn, den Mann aus Kroatien, sei das linke Masturbation – die Begeisterung über die eigene Begeisterung und dass sie absehbar nicht mehrheits- geschweige denn im europäischen Rahmen politikfähig sei.

Sieg des Räderwerks

Varoufakis, weitschweifend, ging nicht weiter drauf ein. Für ihn hat sich bei den Verhandlungen mit Griechenland die Maschine, das Räderwerk, schlechthin durchgesetzt – andere wollten ihm bei den Finanzministertreffen auf EU-Ebene kaum zuhören. Und dann auch wieder sein altes Lied, neoliberale Ökonomen hätten doch seinen Vorschlägen zugestimmt, auch IWF-Chefin Christine La­garde … Der Grieche kam, neben den Anekdoten aus frisch vergangenen Zeiten, auch mit Vorschlägen. Man müsse ein Netz aufbauen, der Kommunikation, mit Veranstaltungen wie solchen in der Volksbühne – das sei jetzt alles mit Internet, mit Livestreaming möglich. Man müsse sehr viel miteinander reden, auf diese moderne Weise, man brauche keine Partei, keine Beitritte zu Organisationen, denn in Europa kündigten sich große Veränderungen an, auf Digitalisierung fußende. Worte wie 3-D-Drucker fielen – und Berardi deutete sie im Sinne der Zwiespältigkeit: Die neue Techniken könnten Gutes bewirken, aber wahrscheinlich führten auch sie in die Irre, in die Machtlosigkeit.

Warum hat Erbauungsrhetorik der linken Linken immer noch so eine Resonanz?

Man fragte sich unwillkürlich: Da schlägt ein politischer has-been wie Gianis Varoufakis etwas von europäischer Vernetzung vor – aber wo ist die Basis für eine europäische Zusammenarbeit, die über die Alles-wird-immer-schlimmer-Mittelschichtsmilieus hinausgeht? Ist das der selige Multitude-Glaube? Oder will er demokratische Verfahren einführen, an denen schon die Piraten mit ihren Dauerplena in puncto Einfluss zerbröselt sind? Es war nicht einmal zu erahnen. Sprechend blieb das Unausgesprochene: Weshalb waren die eisigsten Kritiker der griechischen Linken von Syriza gar nicht Merkel & Co., sondern die ökonomiebewussten EU-Mitglieder des Ostens? Weshalb ist Warschau mit neoliberalen Werkzeugen ein Hotspot geworden – und Athen ist immer noch eine oligarchische Trümmerlandschaft? Warum, wenn laut Berardi alles nur noch schlimmer werde, ist es gerade Deutschland, das das Jerusalem der Flüchtlinge gerade der muslimischen Welt ist? Und wenn das Europa der EU wirklich nichts als ein antipolitisches, antidemokratisches Konstrukt ist – warum will alle Welt hierher gelangen?

Die Lust der Niederlage

Anders notiert: Warum hat Erbauungsrhetorik der linken Linken immer noch so eine Resonanz? Ist es die typische Melancholie (Walter Benjamin), wie Horvat anmerkte? Man badet in der eigenen Niederlagenhaftigkeit, um zwar nichts für eine gute Welt mitrealisiert zu haben – aber recht hat man immer, weil die anderen so gemein sind. Varoufakis bekam nach seinem letzten Statement eine Spur weniger zufrieden stimmenden Beifall. Sein „Plan B“ für Europa ist kaum kenntlich geworden: Oder kann es ihn gar nicht geben? Immerhin: Er plädiert nicht für Resignation, er will weiterkämpfen. Insofern hatte es etwas von religiöser Anmutung, faktisch an allem, was das Leben ist, vorbeizudenken. Andererseits: Ist ja nicht verboten. Die Volksbühne war also die Tribüne „im Zentrum des Übels“ (wie auf dem Veranstaltungszettel stand). Alles offenbar Weltanschauung. Nebenan, im Karl-Liebknecht-Haus, brannte längst kein Licht mehr.