Und der Zukunft zugewandt

Köpenick Der Müggelturm war zu DDR-Zeiten ein beliebtes Ausflugsziel, heute gammelt das Areal vor sich hin. Seit 2014 gibt es einen Investor, Matthias Große. Der macht bisher hauptsächlich als Lebenspartner der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein von sich reden

Früher gab es hier Torte und Eis, heute überwiegt maroder Charme: Das ehemalige Restaurant am Fuße des Müggelturms ist nur noch eine Bauruine Fotos: Jan Brockhaus

von Marina Mai

Hochlaufen geht. Die Treppe, die auf den 30 Meter hohen Köpenicker Müggelturm hinaufführt, modert zwar ein wenig vor sich hin. Das ins Bauwerk eingedrungene Wasser ist selbst an regenfreien Tagen zu sehen. Der Blick von der Aussichtsplattform über die Dahme, die Köpenicker Seen und die Wälder, die im vollen Herbstlaub stehen, entschädigt dann aber für die Unannehmlichkeiten. Man sieht gern darüber hinweg, dass am Fuße des Turms, dort, wo einst die Gas­tronomie beheimatet war, nicht viel mehr als eine riesige Bau­rui­ne steht. Die Sicht ist klar und die Silhouette der Berliner Innenstadt deutlich zu erkennen.

Dieser Blick war der Grund, warum der Architekt Franz Jacob 1889/90 auf dem 88 Meter hohen Kleinen Müggelberg – der damals noch außerhalb Berlins lag – einen Turm errichtete. Das hölzerne Bauwerk hatte den Stil einer chinesischen Pagode, hieß folgerichtig „Pagodenturm“ und entwickelte sich rasch zu einem Publikumsmagneten. Und selbstverständlich gedieh, anders als heute, die Gastronomie rund um den Turm. Denn wer den Aufstieg auf den Müggelberg geschafft hatte, sehnte sich nach einem Kaffee oder einem Bier. In den Jahren der Weimarer Republik wurde die Gastronomie erheblich erweitert. Es entstanden zudem Wege und Treppen auf den Berg.

Ziel vieler Schulwandertage zu DDR-Zeiten

Der Teufelssee am Fuße des kleinen Müggelbergs ist ein verwunschenes dunkles Gewässer mitten im Wald. Um den See herum gab es zu DDR-Zeiten – und gibt es noch heute – einen Naturlehrpfad, der die Tier- und Pflanzenwelt der für den Südosten Berlins so typischen Feuchtvegetation erklärt.

Die Müggelberge boten Generationen ostdeutscher Schüler ein Ziel für Wandertage und Stoff für Biologie-Projekttage. Wer mit Lackmuspapier den Säuregehalt des Bodens bestimmt und Pflanzen und Tiere in sein Arbeitsheft gezeichnet hatte, freute sich auf ein Eis oder ein Stück Torte auf der Dach­terrasse der Gaststätte unterm Müggelturm. Der Weg auf den Turm war oft der krönende Abschluss von Wander- oder Projekttag.

1889/90 errichtete der Architekt Franz Jacob auf dem 88 Meter hohen Kleinen Müggelberg einen Turm im chinesischen Pagodenstil. Er entwickelte sich rasch zu einem Publikumsmagneten.

In den letzten Kriegswochen 1945 wollte die Wehrmacht den Turm sprengen, damit er der herannahenden Roten Armee nicht als Beobachtungsposten dienen konnte. Die Sprengladung war schon gelegt. Turm-Gastwirt Walter Wichelhaus zerschnitt aber die Leitungsdrähte und verhinderte damit die Sprengung.

Im Jahre 1958 brannte der 27 Meter hohe Pagodenturm ab. In seiner heutige Form entstand der Turm 1961.

In den Jahren 1994, 2002 und 2007 misslangen drei Privatisierungsversuche. Der eigentliche Turm wurde 1996 mit einer Mil­lion EU-Fördermitteln instand gesetzt. Der Gastronomiekomplex zu seinen Füßen verfiel weiter. Im Mai 2014 erwarb Matthias Große das Areal aus Gastronomiekomplex und Turm. (mai)

Sein heutiges Gesicht erhielt der Müggelturm im Jahre 1961. Drei Jahre zuvor war der hölzerne Pagodenturm abgebrannt. Das Feuer war durch Schweißarbeiten während einer notwendigen Renovierung ausgelöst worden. Ob die DDR wegen der politischen Distanz zu China keinen neuen Pagodenturm bauen wollte? Oder ob es einfach Zeit war für ein weithin sichtbares modernes Bauwerk in der DDR-Hauptstadt, die in den 1950er Jahren hauptsächlich mit Bauten im Zuckerbäckerstil Akzente setzte – darüber kann man trefflich spekulieren.

Drei Versuche der Privatisierung misslangen

Heute stehen Turm und Gastronomie-Areal als frühes Bauwerk moderner Architektur unter Denkmalschutz. Das hat die Suche nach einem Investor nach der Wende so schwierig gemacht. Drei Privatisierungsversuche misslangen, 1994, 2002 und 2007. Der eigentliche Turm wurde 1996 mit einer Millionen Mark aus EU-Fördermitteln instand gesetzt. Doch die Gastronomiebauten an seinem Fuße verfielen weiter. Die Instandsetzung war offenbar auch nicht wirklich nachhaltig – siehe das eindringende Regenwasser an den Stufen.

Alle Hoffnungen liegen nun auf Investor Nummer vier. Der heißt Matthias Große, hat das 6.000 Quadratmeter große marode Areal 2014 erworben, wohnt in Köpenick und machte bisher hauptsächlich als Lebenspartner der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein von sich reden.

Die taz schrieb einmal, der „Freund von Claudia Pechstein schirmt die Eisschnellläuferin im Stile eines Personenschützers gegen das Unheil der Welt ab“. Journalisten und Politiker, die nicht in seinem Sinne über die Eisschnellläuferin dachten und berichteten, konnten Große von einer sehr unangenehmen Seite kennenlernen. Bei der taz ging einmal ein anonymer Droh­anruf ein. Die Süddeutsche Zeitung schrieb, die Stimme von Große höre sich im Stadium der Erregtheit an, „als hätte ein Kampfhund einen Einbrecher entdeckt“.

Wichtiger, aber schwieriger Investor

Widerpart von Große in Sachen Müggelturm ist Treptow-Köpenicks Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD). Und der urteilt vergleichsweise milde über den wichtigen, aber schwierigen Investor. Große sei ein „Machertyp mit sehr eigenen Vorstellungen“, sagt Hölmer der taz. Und fügt hinzu: „Er will etwas bewegen, ist aber sehr ungeduldig und hat Schwierigkeiten mit langen gesetzlichen Regelungen.“

Große selbst will mit der taz nicht über den Müggelturm sprechen. Seine Mitarbeiterin verweist stattdessen auf ein Interview ihres Chefs für ein Köpenicker Lokalblatt vom Sommer, „das nach wie vor aktuell ist“. Dort wütete Große, dass der Bezirk ihm auferlegt habe, die drei Ebenen des Restaurantgebäudes behindertengerecht zu bauen. „Das Problem sind einige der einfachen Verwaltungsmitarbeiter, die meinen, sie könnten bestimmen, wann der Müggelturm fertig wird und wie er auszusehen hat. Leider spielt dabei auch der soziale Neid eine ganz große Rolle. Den erlebe ich jeden Tag, wenn ich da hingehe und mit bestimmten Leuten rede“, so Große. Auf Nachfrage erklärte er, ein Bauamtsmitarbeiter habe zum Beispiel gefragt, „wie viele große Autos ich noch kaufen will“.

Anfang 2015 hat Große einen Bauantrag gestellt. Über den ist bis heute nicht entschieden. Große fühlt sich von den Behörden ausgebremst und erklärt, ab Erteilung der Baugenehmigung brauche er maximal zwölf Monate bis zur Eröffnung. Er rechnet mit 250.000 Besuchern pro Jahr.

Baustadtrat Hölmer sagt, der Bauantrag sei noch nicht genehmigungsfähig, weil Große noch Unterlagen nachreichen müsse. „Wir konnten ihn inzwischen davon überzeugen, dass er ohne Barrierefreiheit für die Restaurants keine Baugenehmigung erhält“, sagt der Sozialdemokrat. „Gerade die Müggelberge sind bei betagten Bürgern beliebt. Wir haben im Bezirk zahlreiche ältere Einwohner. Und die wollen auf dem 88 Meter hohen kleinen Müggelberg gern ein Stück Torte essen.“ Auf den Turm selbst wird man mit Rollstuhl nicht hinaufkommen: Einen Lift verbietet der Denkmalschutz.

Hölmer zeigt sich zuversichtlich, dass Große bis Jahresende die fehlenden Unterlagen nachreicht und auch ein Stück öffentliches Straßenland überschrieben bekommt, das er für sein Bauvorhaben braucht. „Dann kann er nach der Frostperiode mit dem Bau anfangen. Und wenn er sein Versprechen mit den zwölf Monaten einhält, ist Berlins Südosten 2017 um eine Attraktion reicher.“

Immerhin: Sichtachsen vom Müggelberg durch den Köpenicker Forst gibt es bereits heute. Der weite Blick auf den herbstbunten endlosen Wald, auf die Seen und Flüsse in der Um­gebung ist einen Aufstieg auf den Müggelberg und -turm allemal wert. Auch ohne Gastronomie.