Eine Feier der Sünde

THEATER Opulent und ekstatisch: In der Shakespeare Company feiert Christopher Marlowes „Doktor Faustus“ eine umjubelte Premiere

Slapstick steht neben philosophischen Passagen und tiefsinnigen Monologen. Und drumherum spielt eine Clownstruppe

Wild ist er, maßlos und furios, dieser Faust, opulent, derb und ekstatisch. Und gerade darum ist er so gut! Es ist kein echtes Drama, auch wenn das Programmheft das ein wenig nahelegt, nicht einmal eine richtige Tragödie; sondern vor allem eines: clownesk.

Die Geschichte, die Johanna Schall hier in der Bremer Shakespeare Company inszeniert, stammt dabei ebenso wenig vom Hausautoren wie von Goethe - Christopher Marlowe hat sie 1589 geschrieben, ein Schustersohn, zugleich einer der bedeutendsten Vorläufer Shakespeares. Manch einer hält ihn gar für ebenbürtig. Marlowe starb allerdings, noch ehe er 30 war.

Sein Dr. Johann Faust, der seine Seele an den Teufel verkauft, weil der ihm die Erfüllung seiner Allmachtsfantasien verspricht, ist noch nicht ganz so bildungsbürgerlich aufgeladen wie in späteren Fassungen der Geschichte. Sie ist zwar noch fest der Welt verhaftet, die sie in Himmel und Hölle, Paradies und Verdammnis einteilt. In der Fassung, die am Freitag am Leibnizplatz Premiere hatte, kommt sie aber zugleich wunderbar atheistisch und religionsfern daher. Mehr noch als das Original, das damit schließt, dass Faust vom Teufel in Stücke gerissen wird, während er hier, als seine Zeit abgelaufen ist, einfach tot über jenen Büchern zusammenbricht, mit denen alles begann.

Am Ende erscheint die Angst vor dem Tod, die Faust reuig werden lässt, schlimmer als das Sterben selbst. Auch Marlowe selbst übrigens wurde, kurz vor seiner Ermordung, des Atheismus bezichtigt.

„Ich dien’nur einem Gott, der eigenen Lust“, sagt der Wissenschaftler Faust (souverän: Markus Seuß), der ohnehin nicht an Gott und Hölle glaubt, aber auch Mephistopheles (Petra-Janina Schultz, die hier wunderbar zwischen Mann und Frau ­changiert), ist durchaus auf seinen eigenen Spaß bedacht.

Die beiden verbindet in diesem Stücke eine Art Lustbeziehung, sodass sie am Ende der 24 Jahre, die Faustus dem „Gipfel der Erkenntnis“, pardon: der schwarzen Magie, frönen darf, als altes Ehepaar daherkommen.

Dazwischen stehen viele Todsünden, gute Engel, die als tuntige Tänzer (überzeugend: Tobias Dürr) daherkommen, afrikanische Schöpfungsmythen, in denen die Sonne ausgekotzt wird, weil Gott Bauchweh hat, ein schwuler Hitler und der Schlager „Dschingis Khan“, blasphemische Papststreiche oder enthauptete Köpfe, mit denen Fußball gespielt wird. Und so weiter.

Dabei steht immer wieder die Frage im Raum: Was würden wir denn tun? Alles ist überdreht, bizarr, auch mal zotig und Slapstick steht neben philosophischen Passagen und tiefsinnigen Monologen. Und drumherum spielt eine Clownstruppe, die schon mal bessere Tage gesehen hat und zusehends eins wird mit der Faust-Geschichte.Die Gefahr des Scheiterns, sie ist groß, wenn man das Stück so bunt und laut auf die Bühne bringt wie hier. Doch hier passt alles erstklassig zusammen. Jan Zier