„Polizeimaßnahmensehen nirgends schön aus“

Union Die CDU-Basis in Baden-Württembergholt sich in der Flüchtlingsfrage Rat aus Ungarn

Zoltán Balog mal nicht bei der CDU, sondern bei Anne Will Foto: imago

BAD SAULGAU taz | Es war eine gezielte Provokation, und die wird auch im fernen Berlin verstanden. Der ungarische Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, war Stargast beim CDU-Parteitag des Bezirks Württemberg-Hohenzollern, eingeladen vom örtlichen Bundestags­abgeordneten Thomas Bareiß. Jener Balog, der in deutschen Talkshows derzeit die unerbittliche Flüchtlingspolitik Orbáns verteidigt und die deutsche Regierung beschuldigt, mit der Grenzöffnung gegen EU-Recht verstoßen zu haben.

Es sei Zeit, in Europa miteinander statt übereinander zu reden, rechtfertigt Bareiß den Auftritt des Ministers am Freitagabend in Bad Saulgau. Kurz zuvor hatte er selbst eine schneidige Rede zur Flüchtlingspolitik gehalten, die mehr nach Seehofer als nach Merkel klang.

Dann redet Zoltán Balog fast eine Stunde auf Deutsch zu den Delegierten. Balog appelliert an gemeinsame „christlich-jüdische Werte“ und empfiehlt statt Einwanderung eine Familienpolitik à la Ungarn: Steuerbefreiung für kinderreiche Familien etwa. Er rechtfertigt die ungarischen Grenzzäune und die Flüchtlingsabwehr. „Polizeimaßnahmen sehen nirgends schön aus“, sagt Balog.

Das mag einige im Saal an den schwarzen Donnerstag im Stuttgarter Schlossgarten vor fünf Jahren erinnern, als der bislang letzte CDU-Ministerpräsident, Stefan Mappus, Was­serwerfer gegen friedliche Stuttgart-21-Gegner auffahren ließ. Auch diese Bilder waren es, die die CDU damals die Macht kosteten.

Und Balog spielt Schwache gegen Schwächste aus, wie ihm später eine Delegierte vorwirft. Ausgerechnet die bereits in der EU lebenden Roma erklärt er plötzlich zu einer Hoffnung für den Arbeitsmarkt. So begründet er die restriktive Einwanderungspolitik seines Landes.

Er fragt: „Muss man sich auf einem CDU-Parteitag denn dafür rechtfertigen, dass man rechts von der Mitte steht?“ Auch für diese Bemerkung bekommt Balog befremdlich viel Applaus, gelegentlich gar Jubel.

Balog kanalisiert an diesem Abend den Frust vieler Unionsmitglieder. Die ganz große Koalition von Kretschmann bis Merkel in der Flüchtlingsfrage macht es der Südwest-CDU schwer, das Thema für den Wahlkampf zu nutzen. Und vor allem vielen jungen Parteimitgliedern, die Balog zujubeln, passt offenbar die ganze Richtung von Angela Merkels Politik nicht.

Aber nicht alle applaudieren. Stephan Neher, junger Oberbürgermeister in Rottenburg am Neckar, findet nur zwei Worte für Balogs Auftritt: „Eine Katastrophe!“ Der Ungar, der einmal Pfarrer war, stehe nicht für jene christlichen Werte, die er kenne, sagt Neher. 2.000 Flüchtlinge leben derzeit in seiner Stadt, aber er sieht die Kapazitätsgrenzen noch weit entfernt. „In meiner Bibel steht nichts von Ausgrenzung“, sagt der Christdemokrat.

Neher hat am Tag vor dem Parteitag für einiges Aufsehen gesorgt, weil er 26 CDU-Bürgermeister und zehn Landräte in Baden-Württemberg zu einem Unterstützerbrief für Angela Merkel zusammengetrommelt hatte. Die Kernaussage des Briefes ist das glatte Gegenteil dessen, was Balog, Teile seiner Partei und die CSU zur Flüchtlingspolitik sagen.

„Es ist leicht, in ruhigen Zeiten als Oberbürgermeister Geld an die Bürger zu verteilen“, sagt Neher sagt auf dem Parteitag. „Ich bin aber dafür gewählt, schwierige Situationen zu meistern.“ Auch er bekommt Applaus von Delegierten.

Eins wird an diesem befremdlichen CDU-Abend mit Orbáns Mann in der tiefen Provinz deutlich: Die Basis im schwäbischen Kernland der Union ist in der Flüchtlingsfrage hin- und hergerissen. Thomas Bareiß sagt nach dem Auftritt von Zoltán Balog zufrieden: Er könne sich nicht daran erinnern, wann auf einem Parteitag seines Bezirks zuletzt so lebhaft diskutiert wurde. Das ist noch das Beste, was man über den Auftritt des ungarischen Rechtspopulisten in Bad Saulgau sagen kann.

Benno Stieber