„Nur mein Rucksack, meine Kamera und ich“

NAH Ashwin Raman berichtet seit 40 Jahren aus Kriegsgebieten. Nun erhält er den Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus

Ashwin Raman beim Dreh zu seiner Afghanistan-Doku „Das 13. Jahr“ (ARD) Foto: Martin Stollberg/SWR

Interview Thomas Leif

taz: Herr Raman, Sie sind gerade von einer Recherche über den Islamischen Staat (IS) zurückgekommen. Lieben Sie das Risiko?

Ashwin Raman: Keine Geschichte ist größer als mein Leben. Ich versuche so weit wie möglich, Risiken zu minimieren, und verlasse mich auf Kontakte, die über die Jahre entstanden sind. Keinesfalls gehe ich auf „Sonderangebote“ ein. Damit meine ich dubiose Angebote, wie Interviews mit dem IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi und dergleichen.

Was kennzeichnet den IS? Was macht ihn so gefährlich?

Der IS ist nicht gefährlicher als damals Abu Mussab Sarkawis al-Qaida, die Taliban, Boko Haram oder al-Shabaab. Aber er ist professioneller und weiß sich die Medien zunutze zu machen. Unter anderem wird die Hochglanzzeitschrift Dabiq publiziert, oder es gehen Videos mit diversen Gräueltaten durch die Welt. Da wenige unabhängige Bilder über den IS existieren, bedienen sich die Medien weltweit am Material der IS-Propaganda. Hierzulande produziert man Dokus mit Interviews sogenannter Experten, gemischt mit Propagandaclips. Darüber hinaus versteht es der IS, Social Media zu nutzen, insbesondere, um Rekruten zu werben.

Wie nah waren Sie an IS-Aktivisten dran?

Ich kann nur darauf hinweisen, dass Kontakte zum IS vorhanden sind. Ich wurde auch schon nach al-Raqqa eingeladen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Was treibt Sie an?

Sicherlich nicht der „Kitzel“ oder Drang danach, etwas „Spektakuläres“ zu veröffentlichen. Die Berichterstattung des Fernsehens beschränkt sich in der Regel auf Anschläge, der IS wird auf Gräuel­taten reduziert, Afghanistan auf die Hofberichterstattung der Bundeswehr. Mich interessieren aber die Geschichten von Menschen. Eine irakische Frau erzählte mir zum Beispiel, wie IS-Kämpfer vor ihren Augen ihre beiden Kinder ermordeten. Die Mutter wurde am Leben gelassen, sie solle lebenslang leiden und den Schmerz fühlen. In der Nachbarschaft verteilt sie manchmal Spielsachen, die Freude der Kinder lenkt sie ab. Und dann war da noch ein 22-jähriger Peschmerga an der Sinjar-Frontlinie, der mir von seiner Leidenschaft für Bolly­woodfilme erzählte. Minuten danach ist er tot, von einem IS-­Scharfschützen erschossen.

Sie drehen selbst – mit einer kleinen Handkamera. Ist das die „Methode Raman“?

Lassen Sie mich das indirekt beantworten. Neulich schickte mir ein Kollege ein Exposé für einen Film über Afghanistan. Es las sich wie ein Drehbuch, mit einer Auflistung von Fragen und vorformulierten Antworten. Dies ist keine Ausnahme. Meine „Methode“ basiert auf gesundem Menschenverstand und Zurückhaltung. Meine handgroße Videokamera bekam ich 2000 geschenkt. Es war wie eine Befreiung. Plötzlich war kein Kamerateam mehr notwendig, kein Warten mehr, bis alle gefrühstückt haben. Nur noch mein Rucksack, die Kamera und ich. Der Vorteil ist, dass ich mobil bin und spontan drehen kann. Von der Umgebung werde ich meist als Tourist oder Amateurfotograf wahrgenommen.

Wenn Sie in Afghanistan, im Irak und in Syrien recherchieren, müssen Sie mit dem Militär zusammenarbeiten. Ist das nicht auch eine Form von „embedded Journalism“?

Ich muss nicht zwangsläufig mit dem Militär arbeiten. Grundsätzlich habe ich „embedded“ keine schlechten Erfahrungen mit dem Militär gemacht. Natürlich bestimmen sie die Abläufe, präsentieren ausgewählte Interviewpartner und dergleichen. Nie habe ich es jedoch erlebt, dass versucht wurde, direkt Einfluss auf meine Berichterstattung zu nehmen. Wichtig ist es, sich einen fairen und objektiven Ruf zu erarbeiten.

Kann man den „Job“ des Kriegsreporters lernen?

Ashwin Raman

69, ist Kriegsreporter und Dokumentarfilmer. Er hat auch für die taz geschrieben, arbeitet heute aber vor allem für ARD und ZDF. Seine letzte Doku, „Das 13. Jahr“, über den Afghanistankrieg lief im März bei der ARD.

Viele junge Journalisten möchten Kriegsreporter werden. Das ist zu einem Abenteuersport geworden. Vor allem erliegen sie dem Irrglauben, sie könnten durch den Einsatz in Krisengebieten Karriere machen. Überwiegend handelt es sich um junge Freelancer, die in der Regel ohne Unterstützung einer Heimredaktion unterwegs sind, nicht versichert und unerfahren. Sie jagen den Revolutionen hinterher, auf der Suche nach einem Markt für ihre Bilder und Geschichten. Nicht selten führt dies zu einem tragischen Ende, wie im Fall James Foley.

Sie haben bereits einige Dokumentationen für ARD und ZDF gedreht, sind preisgekrönt. Vermutlich werden Sie von den Sendern hofiert?

In unserem Geschäft ist man König für ein Tag. Hast du eine guten Film gemacht und gute Quoten, steigen die Chancen für das nächste Projekt. Ich habe auch erlebt, dass ein bereits bewilligtes Projekt annulliert wurde, weil einer meiner Filme keinen Gefallen fand und die Quoten wegen eines Fußballspiels im Keller waren. Selbst nachdem ich den Deutschen Fernsehpreis gewonnen hatte, erlebte ich beim ZDF Blockaden. Inzwischen habe ich beim SWR eine Heimat gefunden.

Wie kann die Arbeit der Reporter vor Ort erleichtert werden?

Das Problem ist doch, dass die Öffentlich-Rechtlichen eine sehr begrenzte Präsenz in der südlichen Hemisphäre haben: Der ARD-Korrespondent in Delhi ist zuständig für Indien, Pakistan, Bangladesch, Sri Lanka, Afghanistan. Der ZDF-Reporter mit Sitz in Singapur ist sogar für den gesamten süd- und südostasiatischen Raum zuständig, inklusive Australien. Durch diese Konstellation unterscheidet sich der Wissens- und Informa­tions­stand der Korrespondenten und der Kollegen bei den Heimatstammsendern kaum. Alle lesen die gleichen Zeitungen.

Der Autor ist ARD-Mitarbeiter und Mitglied der Otto-Brenner-­Jury