Gegen die anderen

TABU Werder Bremen verliert recht überraschend nur 0:1 gegen ein Team, von dem die taz einstweilen nicht mehr berichten möchte, weil es sich in den letzten Wochen aus dem Wettbewerb hinausgesiegt hat

Santiago Garcio (links) und Philipp Bargfrede (Mitte) im Kampf um den Ball Foto: imago

Von Johannes Kopp

Viktor Skripnik musste am Samstagabend etliche Träumer wachrütteln. Der Werder-Trainer forderte einen realistischen Blick auf das Geschehene ein und erklärte, die anderen „waren die bessere Mannschaft und hätten das Spiel früher entscheiden können“. Allein der Umstand, dass Werders Stürmer Anthony Ujah in der Schlussphase gar zweimal die Gelegenheit hatte, den Ausgleichstreffer gegen die anderen zu erzielen, hatte im Weser-Stadion die große Mehrheit der 42.100 Zuschauer schon in Ekstase versetzt. Der Lärmpegel schoss in schier nicht mehr für möglich gehaltene Höhe wie anno dazumal, als man noch mit einem Klub aus dem Süden um die Deutsche Meisterschaft wetteiferte. So viel Euphorie war hier schon lange nicht mehr zu Hause.

Aber Skripnik wollte sich von der Stimmung nicht anstecken lassen. „Soll ich jetzt tanzen, das wir nur 0:1 verloren haben?“, fragte er nach dem Spiel einen TV-Journalisten. Der 45-Jährige führte einen fast schon einsamen Kampf gegen die Bescheidenheit – auch in den eigenen Reihen. Die Pleiten der letzten Wochen haben tiefe Spuren hinterlassen. Fast schon devot hatte vor der Partie Werder-Sportdirektor Thomas Eichin den Erwartungshorizont geschmälert: „Viktor bleibt auch bei einem 0:12 Trainer.“ Dass die Profis dann den so großzügig eingeräumten Kreditrahmen so wenig nutzten, verbuchten etliche am Samstagabend schon als Gewinn. Der vereinsinterne Negativrekord, den der Klub ganz nebenbei mit der fünften Niederlage in Folge eingestellt hatte, geriet so in Vergessenheit. Gegen die anderen schien das irgendwie nicht zu zählen.

Auch während der Partie waren die Grün-Weißen nicht gerade durch ihre Begehrlichkeiten aufgefallen. Die Ballbesitzquote von 18 Prozent in der ersten Hälfte spiegelte das absolute Desinteresse wieder, am Spielgeschehen aktiv mitzuwirken. Zwei Defensivreihen mit fünf und vier Mann zogen sich ins eigene Drittel zurück und warteten darauf, was da von der anderen Seite kommen sollte. In der ersten Halbzeit wagte es lediglich Melvyn Lorenzen bei einem der seltenen Werder-Vorstöße, den anderen Torhüter ein wenig zu prüfen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis das passierte, was alle in Bremen befürchtet hatten: In der 23. Minute lag plötzlich der Ball hinter Torhüter Felix Wiedwald im Netz.

Weil die Skripnik-Elf dieses Zwischenresultat dann bis weit in die zweite Hälfte konservieren konnte, wurde sie plötzlich auch ein wenig mutiger. Immerhin schraubte man die Ballbesitzquote bis zum Schlusspfiff auf 20 Prozent und erspielte sich die eingangs erwähnten Chancen zum Ausgleichstreffer. Hätte aber Schiedsrichter Christian Dingert den anderen nicht einen möglichen und einen klaren Elfmeter versagt, hätte sich wohl kaum diese unerwartete Spannung aufgebaut. Insbesondere Wiedwald hatte Glück, dass er bei seinem allzu beherzten Einsteigen gegen einen Nicht-Werderaner den Platz nicht verlassen musste.

Ein bisschen ließ sich dann der dem Realismus so verpflichtete Coach Skripnik dann am Ende doch noch vom Prinzip Hoffnung vereinnahmen: „Unsere Leistung macht ein bisschen Hoffnung. Mit Kämpfen, Kratzen und Beißen kommen wir weiter.“ Er setzt also darauf, dass sein Team die Vorstellung vom Samstag auch auf die Bundesliga übertragen kann. Nächste Woche beim FSV Mainz 05 gibt es schließlich wieder eine echte Gewinnchance. Und diese sollte man nutzen, wenn man sich nicht noch weiter vom selbst formulierten Saisonziel (einstelliger Tabellenplatz) entfernen will. Wobei Skripnik am Samstagabend auch wieder recht finstere Gedanken überfielen. Vielleicht, sagte er, wäre er ja nach einer Niederlage in Mainz gar nicht mehr im Amt. „Das ist die Realität bei Werder“, fügte er an.

Mit Neid blickt man im Verein derzeit sicherlich zum Tabellenführer. Vergangenes Jahr steckten man noch gemeinsam mit Borussia Dortmund im Abstiegskampf. Und auch wenn Claudio Pizarro, den die Bremer Anfang September von den anderen verpflichten konnten, bei seiner Ankunft von der Champions League fabulierte, trug diese Euphorie doch nicht weit. Werder führt wieder den mühseligen Existenzkampf, den man unbedingt vermeiden wollte. Auch deshalb wollte Viktor Skripnik nicht das Gefühl des Stolzes über die so knappe 0:1-Niederlage gegen die anderen zulassen.