Afghanistans mutige Vorkämpferin

Zwar sind die Endergebnisse der afghanischen Parlamentswahlen vom 18. September noch immer nicht offiziell. Doch an der Wahl von Malalai Dschoja gibt es keinen Zweifel. Die junge Frau war schon berühmt, bevor sie als erste Kandidatin zu einer der Siegerinnen erklärt wurde. Denn Dschoja hatte bereits im Dezember 2003 bei der Loja Dschirga, der verfassunggebenden Versammlung, für Furore gesorgt.

Die damals 25-Jährige hatte nicht nur das Wort ergriffen, sondern die vielen anwesenden Mudschaheddin als Kriegsverbrecher bezeichnet und gefordert, diese vor Gericht zu stellen. Darauf musste sie unter Militärschutz aus dem Tagungszelt geleitet werden, als ehemalige Mudschaheddin sie bedrohten. Der Preis für ihre offene Sprache war, dass sie seit zwei Jahren schwieg.

Doch wer dachte, dass Morddrohungen Dschoja endgültig mundtot gemacht hatten, irrte sich. Dschoja kandidierte bei den Wahlen für einen der Sitze von Farah, ihrer erzkonservativen Heimatprovinz im talibanverseuchten Süden des Landes. Und sie versprach, ihren Kampf gegen die Kriegsfürsten ins Parlament zu tragen. Sie erreichte das zweitbeste Resultat, wenn sie auch wegen des bizarren Wahlsystems nur etwas über 7 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. „Mein Ziel sind die vollständige Entwaffnung und rechtliche Verfolgung der Warlords“, sagte sie nach dem Sieg.

Dschoja ist ein typisches Produkt der turbulenten jüngsten Geschichte Afghanistans. 1982, als sie vierjährig war, flohen ihre Eltern vor den sowjetischen Truppen nach Iran und dann nach Pakistan, wo sie in Flüchtlingslagern aufwuchs. Doch sie konnte zur Schule gehen, und bereits mit 19 Jahren brachte sie Flüchtlingsfrauen Lesen und Schreiben bei. 1999 kehrte sie nach Afghanistan zurück, wo inzwischen die islamistischen Taliban herrschten. In Herat gründete sie eine Schule im Untergrund. Als die Taliban im November 2001 vertrieben wurden, kehrte sie in ihre Heimatprovinz Farah zurück, wo sie in einer Frauenorganisation tätig wurde. Als eine der wenigen Frauen in Farah wagte sie sich dort an die Öffentlichkeit, weshalb sie als Teil der Frauenquote in die Loja Dschirga eingeladen wurde.

Doch statt sich dort in den speziell für Frauen zugedachten Räumen mit Frauenfragen zu beschäftigen, trat sie im Plenum auf und klagte die Kriegsherren an. Nun wird sie ihnen im Parlament wieder begegnen. Bringt sie einen Gesetzesvorschlag für Kriegsverbrecherprozesse ein, ist eine erneute Konfrontation vorprogrammiert. Fast die Hälfte aller Abgeordneten sind nämlich ehemalige Mudschaheddin oder mit diesen verbunden.

BERNARD IMHASLY