Lehramt als Musiker-Standbein

STUDIUM Musikstudierende wenden sich immer häufiger der Popmusik zu – auch wenn die meisten AbsolventInnen alleine von ihrer Musik nicht leben können

Immer mehr Studierende der Musikwissenschaft legen den Schwerpunkt auf Jazz oder Pop Foto: Patrick Seeger/dpa

von Joachim Göres

„Mick Jagger oder Phil Collins haben nicht Pop- oder Rockmusik studiert, die haben sie einfach gemacht. Wenn Hochschulen eine Ausbildung zum Popmusiker anbieten, dann müssen wir uns fragen: Wen bilden wir wofür aus?“ Benjamin Köthe, Professor an der Popmusikabteilung der Musikhochschule Rostock, liefert seine Antwort gleich hinterher: „Die meisten Absolventen werden alleine von ihrer Musik nicht leben können.“ Deswegen sei es wichtig, dass sie später auch an Musikschulen unterrichten könnten, und zwar sowohl populäre als auch klassische Musik.

Die Musikhochschule Rostock nimmt jedes Jahr fünf von 50 Bewerbern auf. „Bei den Eignungsprüfungen erleben wir eine wachsende Qualität, alle spielen schon seit langer Zeit ihr Instrument“, sagt Köthe. Im acht Semester dauernden Bachelor-Studiengang „Pop- und Weltmusik mit Klassik instrumental und vokal“ wird dann jeweils zur Hälfte Pop und Klassik in Praxis und Theorie unterrichtet.

„Die präzisen Anforderungen der klassischen Musik können für künftige Popmusiker nur von Vorteil sein“, sagt Köthe. Die Studierenden lernen die Praxis kennen, wozu das Spielen in Hochschul-Bands und regelmäßige Auftritte genauso gehören wie die Organisation von Tourneen. Zudem will Köthe ein realistisches Bild vom künftigen Beruf vermitteln: „Vielen ist anfangs nicht klar, was es bedeutet, als selbstständiger Musiker zu arbeiten.“

Musiktheorie, Musikgeschichte, Gehörbildung, Musikvermittlung, Instrumental- und Gesangspraxis – bleibt bei dem vollen Stundenplan des Bachelorstudiums noch Platz für Kreativität? „Wer Musik auf Lehramt studiert, der hat schon viele Vorgaben, für die anderen Studenten ist es lockerer. Meine Aufgabe als Dozent ist es, ihren musikalischen Horizont zu erweitern und sie zu inspirieren“, sagt Michel van Dyke, der am Institut für Jazz/Rock/Pop der Musikhochschule Hannover auch im Bachelorstudiengang „Popular Music“ Popkomposition unterrichtet.

Van Dyke ist ohne Studium zum Musiker geworden. „Bei mir ist viel Zeit vergangen, bis ich Musiker getroffen habe, von denen ich in der Praxis lernen konnte. Bei guten Professoren können Studierende heute schneller ans Ziel kommen“, sagt er. In Hannover kommen auf jährlich zehn freie Plätze 150 bis 200 Bewerber.

Ganz andere Ziele verfolgt man am Institut für Musik an der Uni Oldenburg – dort werden in erster Linie Lehrer ausgebildet, für die die Popmusik wichtiger Teil ihres Studiums ist. Dazu gehört die Einführung in die Musikproduktion am Computer wie auch die Gehörbildung für Pop und Jazz. „Uns geht es nicht darum, perfekte Musiker auszubilden. Unsere Studierenden müssen später Schüler begleiten können“, sagt Professorin Susanne Binas-Preisendörfer.

Sie kennt die Probleme in der Praxis: „Bei den Referendaren wird in den Studienseminaren der traditionelle Musikkanon abgefragt, und wer sich bei uns auf populäre Musik konzentriert hat, muss viel nacharbeiten.“

„Die populäre Musik muss mehr ins Zentrum der Ausbildung rücken, denn sie ist genauso wichtig wie die klassische Tradition“

Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Musikhochschule Hannover

In Oldenburg, Hannover, Rostock und vielen anderen Hochschulen dominiert die Klassik, die häufig finanziell sehr viel besser ausgestattet ist. Das bestätigt Susanne Rode-Breymann, Präsidentin der Musikhochschule Hannover: „Bei uns ist die Klassik in der Villa im Hauptgebäude, später kamen Jazz und Pop dazu, für die dann die Dienstbotengebäude zur Verfügung gestellt wurden. Das ist symptomatisch. Die populäre Musik muss mehr ins Zentrum der Ausbildung rücken, denn sie ist genauso wichtig wie die klassische Tradition.“

Bernd Ruf, Professor für Popularmusik an der Musikhochschule Lübeck, sagt: „Bei vielen Kollegen in Lübeck steht Pop für schlichte Musik und Kommerz, womit man an einer Hochschule, die die Elite ausbildet, nichts zu tun haben will.“ Nicht nur in Hannover und Lübeck zeichnet sich aber auch ein Wandel ab: Wer mit einem Studium der Musikwissenschaft beginnt, legt heute wesentlich häufiger als früher seinen Schwerpunkt auf Jazz oder Pop, auch wenn die Klassik noch von den meisten Studierenden gewählt wird.

Die Studierenden der Popmusik unterscheiden sich übrigens in ihrer Herkunft nicht von denen der klassischen Musik. Andreas Lehmann, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik Würzburg: „Auch die meisten Popstudierenden kommen aus der Mittelschicht, spielen zu Studienbeginn seit über zehn Jahren ihr Instrument und haben bereits einen Kleinwagen in ihre bisherige Ausbildung und ihr Equipment investiert.“

Ob sich das finanziell auszahlt? Laut Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven, die nur hauptberuflich arbeitende Künstler versichert, liegt das durchschnittliche Einkommen von freiberuflich arbeitenden Musikern zu Beginn ihrer Laufbahn bei 9.500 Euro – im Jahr!