Die Frau wird weggesperrt

freie szene Verena Reisemanns Borgfelder „Aussen Theater“ überzeugt auch drinnen und in der City: Jens Weissers Inszenierung von „Der Schlüssel zum Fahrstuhl“ trifft gut Ágota Kristófs Mix aus Naivität und Grausamkeit

Krieg ist immer, auch im Frieden. In der vermeintlichen Liebe. Die Möbel des Eigenheimglücks sind bereits umgestürzt. Alle Requisiten des Alltags kommen aus dem Kühlschrank. Eisige Zeiten. In denen sie so sein will, wie ihr Mann das wünscht: schön, still, lieb, immer fröhlich fürsorglich. Dafür sieht sie ihn so, wie er wohl gesehen werden will: ein zum Prinzen geküsster Fixpunkt ihres Denkens. Aber schon der erste Eindruck spricht gegen diese Lebenslüge: Er ist ein trantütiger Muffel beim Biergesüffel, sie eine springfidele Ballerina im Persönlichkeitsflicken-Tutu.

Verena Reisemann hat ihr Borgfelder „Wildwechsel Aussen Theater“ wieder nach drinnen in die Schaulust verlegt. Jens Weisser inszeniert „Der Schlüssel zum Fahrstuhl“, ein Kurzdrama der 2011 verstorbenen Schweizer Ungarin Ágota Kristóf. Mit Hanns Jörg Krumpholz spielt Reisemann nicht nur Mann und Frau einer tiradischen Ehegroteske, sondern auch Regisseur und Darstellerin auf der Theaterprobe. Er will die zappelige Mimin mit spröder Besserwisserei auf Rollenkurs bringen. Sie tigert durch den Raum, kostet vom Libretto, fremdelt beim Memorieren ganzer Monologpassagen, probiert Betonungen, versucht Haltungen aus einem ballettösen Bewegungskanon zu entwickeln. Schmeckt besonders intensiv Passagen übers Altern ab und will schnell noch mal ihr Gegenüber zur Leidenschaft entflammen. Der Mann aber wischt sich ihre Berührungen angeekelt ab. Zunehmende Lakonie des Spiels dämpft die Emotionen.

Mit Symbolik wird der Raum geschmückt. Kommt der Mann in der Erzählung seiner Frau aus der unendlichen Ebene herbeigaloppiert, als von der Büroarbeit heim, rollt ein Nudelholz übern Bühnenboden. Ist von einer Blutspur im Schnee die Rede, gießt sie rote Energy-Brause auf Eiswürfel.

Dann soll Schluss sein mit der Einsam- in der Zweisamkeit. Nicht nur im Märchenwald ihrer Fantasie trifft die Frau einen Wildhüter…da reicht's dem Gatten. Sie muss den Schlüssel zum Fahrstuhl ihres Hauses abgeben.Wird weggesperrt.

Reisemann kommt aus der anfänglichen Distanz zur Identifikation mit der Rolle, sucht mit bitterem Ernst, manchmal geradezu provozierend lustvoll nach Verklärungen des Elends und preist das höchste Gattinnenglück: Ich habe nur ihn, also liebe ich ihn und warte auf ihn. Da sie aber noch den Klang der Freiheit, den Blick durchs Fenster genießen kann, lässt der Göttergatte sie taub und blind operieren sowie die Beine paralysieren. Oh, selige Ohnmacht? Sie wehrt sich erst, als auch noch ihre Zunge entfernt werden soll: Die Stimme muss bleiben, um diesen Theatertext zu verkünden. Dieses zu Worten geronnene Befremden über Schmerz, Verlust und Überlebenswillen. Ist das schon Emanzipation? Dass Traumprinzen und Männer zwei unterschiedliche Spezies ohne Schnittmenge sind, muss das heute noch erklärt werden?

Es bleibt vor allem Staunen: Was zum Teufel treibt Frauen dazu, sich zum Dekorationsobjekt entmündigen, ihrer Fähigkeiten amputieren und im Privatgefängnis arrestieren zu lassen? Ein unbarmherzig karger, kunstwilliger Abend – der die Grausamkeit und Naivität paarende Ästhetik der Autorin gut trifft.

Jens Fischer