: Zu wenig Geld, aber Talent
Handball Der THW Kiel kann finanziell nicht mit anderen internationalen Spitzenklubs mithalten und setzt auf deutsche Nachwuchstalente. Rune Dahmke könnte es sogar in die deutsche Nationalmannschaft schaffen
von Christian Görtzen
Unterhalb eines Absolutheitsanspruchs machte es der Mann mit dem Walross-Bart nicht, als er sich vor gut drei Jahren den deutschen Handballrekordmeister THW Kiel verbal vorknöpfte. „Der THW hat seit über zehn Jahren keinen Nationalspieler hervorgebracht“, kritisierte der ehemalige Bundestrainer Heiner Brand damals. Der THW sei der erfolgreichste deutsche Handballverein, ohne etwas für den deutschen Handball getan zu haben. Daran werde sich auch nichts ändern, prophezeite Brand.
Doch auch „Handball-Kaiser“ können irren. Die Schleswig-Holsteiner könnten nach vielen Jahren des beinahe manischen Verpflichtens von internationalen Topstars bald wieder einen deutschen Nationalspieler aus dem eigenen Nachwuchs stellen. „Rune Dahmke“ heißt der Mann: 22 Jahre jung, Linksaußen, Spitzname „Otter“, gebürtiger Kieler, Stammverein SV Mönkeberg. Der Shootingstar der Bundesliga.
Dass der Sohn des früheren THW-Profis und Nationalspielers Frank Dahmke überhaupt die Gelegenheit dazu bekam, so durchstarten zu können, liegt an zwei Gründen: dem Geld und dem Pech der Anderen.
Zum einen ist der erfolgsverwöhnte THW stärker dazu angehalten, auf deutsche Spieler zu setzen, da er im Wettbieten um die Stars mit Topklubs wie Paris St. Germain (PSG), MKB Veszprem KC (Ungarn) oder dem FC Barcelona nicht mehr mithalten will – und kann. Hinter diesen Vereinen stehen starke Geldgeber. PSG ist heute ein mit katarischen Öl-Millionen aufgemotzter Scheichklub. Der frühere THW-Trainer Noka Serdarusic soll das zusammengekaufte Star-Ensemble zum Triumph in der Champions League führen.
„Der Markt für aktuelle Topspieler hat sich verändert“, sagt THW-Geschäftsführer Thorsten Storm. Manche europäischen Klubs hätten sich auf die Champions League spezialisiert und kaufen mit viel Geld Spitzenspieler. Deutsche Klubs müssen deshalb nach neuen Lösungen suchen. Der THW setzt vermehrt auf deutsche Talente. So standen vor Kurzem beim Kieler Champions-League-Spiel beim RK Zagreb fünf deutsche Spieler in der Defensiv-Startformation – so etwas hat es zuletzt gefühlt vor etwa 20 Jahren gegeben.
Dem Quintett gehörten zwei Youngster an: der 23 Jahre alte Rückraumspieler Christian Dissinger, der zu Beginn dieser Saison vom TuS Nettelstedt-Lübbecke kam, und Rune Dahmke.
Vor allem Letztgenannter profitierte auf seiner Position auch vom Pech der Anderen. Die beiden Weltmeister Dominik Klein und Torsten Jansen fallen verletzungsbedingt länger aus. Trainer Alfred Gislason war gezwungen, auf Dahmke zu setzen. Und der zahlte durch starke Leistungen und Tore zurück. Die Folge: Der THW, der in der Bundesliga mit 12:6 Punkten nur Tabellensiebter ist, verlängerte seinen Vertrag um vier Jahre bis 2020. „Seine Entwicklung ist klasse. Deshalb war es klar, dass wir verlängern wollen“, sagte Storm. „Rune und der THW Kiel gehören zusammen.“
Sollte Dahmke sein Niveau halten können – am Sonnabend im Champions-League-Spiel beim polnischen Verein Wisla Plock (37:23) erzielte er vier Tore – könnte der Weg ins deutsche Nationalteam von Bundestrainer Dagur Sigurdsson führen. Zwar gibt es an der Nummer eins auf der Linksaußen-Position, Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), kein Vorbeikommen. Der Posten des Stellvertreters ist aber derzeit nicht vergeben.
Seinen Kontrahenten Michael Allendorf (MT Melsungen) stellt Dahmke in den Schatten. Der Kieler ist mit 41 Treffern in neun Bundesligaspielen die Nummer 15 der Torschützenliste, Allendorf steht mit 17 Treffern in sieben Spielen auf Rang 104.
„Es ist für mich einfach das Größte, für den THW Kiel spielen zu dürfen“, sagt Dahmke. Vielleicht geht noch mehr: Am 8. November bestreitet Deutschland beim Supercup das dritte Spiel gegen Slowenien in Kiel. Ein Rune Dahmke dann im deutschen Nationaltrikot auf dem Spielfeld – so abwegig ist ein solcher Gedanke nicht mehr.
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