Auf der Flucht nach vorn

ASYL Täglich kommen neue Flüchtlinge an – darunter auch Schwule, Lesben und Transgender. Viele konnten ihre Sexualitätin der Heimat nicht ausleben und hoffen nun auf ein freieres Leben. Doch was erwartet sie tatsächlich? Die taz hat queereFlüchtlinge getroffen, die derzeit in der Akademie am Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) Deutsch lernen

Kamen für ein selbstbestimmtes Leben nach Berlin: Maguy und Ibrahim Foto: David Oliveira

PROTOKOLL Julian Rodemann

„Mein Name ist Ibrahim, aber meine Freunde nennen mich Bob. Ich bin 23 Jahre alt und homosexuell. Aufgewachsen bin ich in Damaskus in Syrien. Als der Bürgerkrieg 2011 ausbrach, studierte ich gerade Tontechnik und arbeitete als DJ. Ich war sehr angesagt in der Schwulenszene von Damaskus, weil ich viele Partys organisierte. Homosexuelle werden in meiner Heimat in der Regel diskriminiert. Ich aber hatte das Glück, unter dem Schutz meines Vaters zu stehen – ein sehr einflussreicher Mann.

Er arbeitete als Waffenhändler. 2012 begannen verschiedene Kriegsparteien, ihn zu bedrohen. Sie wollten Waffen. Drei Wochen später entführten Unbekannte einen meiner Freunde aus der Nachbarschaft. Er war in meinem Alter, sah mir ähnlich. Es stellte sich heraus, dass sie es auf mich abgesehen hatten. Sie wollten meinen Vater erpressen. Als die Entführer die Verwechslung bemerkten, stachen sie meinem Freund die Augen aus und schickten ihn zurück.

Kurz darauf heuerte mein Vater Personenschützer für mich an. Ich war immer von Body­guards umgeben. Nach vier Monaten hielt ich es nicht mehr aus, ständig in Angst zu leben. Mein Vater verstand das. Ich beantragte Visa in Jordanien und Ägypten – ohne Erfolg. Schließlich floh ich zu einem Freund nach Beirut im Libanon.

Als ich wenig später die Nachricht aus Damaskus erhielt, mein Vater sei gestorben, brach eine Welt für mich zusammen. Insgesamt blieb ich etwa ein Jahr lang in Beirut. Eines Nachts bestahlen mich vermeintliche Freunde, als ich nicht in meiner Wohnung war. Andere boten gegen Bezahlung an, mir ein Visum zu besorgen. Nachdem ich ihnen Geld gegeben hatte, sah ich sie nie wieder.

„Viele beschimpfen mich, weil ich anders bin“

Ibrahim, Flüchtling aus Syrien

Irgendwann klappte es dann doch und ich kam im Oktober 2014 in Thessaloniki an. Von dort reiste ich im Januar 2015 weiter nach Berlin. Von Anfang an wollte ich hierher. Die Party­szene zog mich an. Ich will als DJ arbeiten. Viele Musiker haben in Berlin ihre Karriere begonnen. Außerdem habe ich in Syrien oft gehört, dass Schwule in Deutschland akzeptiert würden; die deutsche Gesellschaft sei tolerant. Insgesamt gilt die queere Szene Deutschlands in meiner Heimat als lebendig.

Jetzt bin ich neun Monate hier. Kürzlich habe ich Asyl bekommen. Darüber bin ich sehr glücklich. Zurzeit wohne ich noch in einem Containerdorf in Buch, aber bald möchte ich ausziehen. Eine Wohnung habe ich schon gefunden. Insgesamt fühle ich mich wohl in Deutschland. Viele Deutsche sind mir gegenüber sehr freundlich und hilfsbereit. Doch manchmal habe ich das Gefühl, dass die Deutschen nur Mitleid zeigen, sich aber nicht wirklich für mich interessieren. Ich fühle mich dann nicht ernst genommen.

Einmal fuhr ich mit einer Mitfahrgelegenheit von Berlin nach München. Der Fahrer war zuerst sehr nett, wir haben uns auf Englisch unterhalten. Dann fragte er mich, woher ich komme. „Syrien, ich bin ein Flüchtling“, antwortete ich. Auf einmal schaute er betroffen drein, sein Lächeln verschwand. Er wandte sich den anderen Mitfahrern zu und ignorierte mich. Das tat weh.

In der „Akademie für queere Flüchtlinge“ lernen 14 Zugewanderte Deutsch. Das Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) rief die Akademie im August ins Leben. Ein sechsköpfiges Team aus ehrenamtlichen Helfern betreut die Flüchtlinge. Neben dem Deutschunterricht besuchen die Teilnehmer die Ausbildungsvermittlung Arrivo und sprechen mit der Polizei über die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare hierzulande.

Die Idee für einen Deutschkurs für queere Menschen kam von den Flüchtlingen selbst. Sie hatten sich gewünscht, im geschützten Raum lernen zu können.

Die Akademie wird durch private Spenden finanziert. Das MILES hat allerdings Gelder bei der Senatsverwaltung beantragt. Geplant ist, die Akademie dauerhaft anzubieten. (taz)

Ich begegne auch immer wieder Homophobie. Das deutsche Gesetz ist zwar liberaler als in meiner Heimat, doch längst nicht alle Menschen sind aufgeschlossen gegenüber Homosexualität. Als mein transsexueller Freund und ich uns in einer Videothek Filme ausleihen wollten, starrte der Angestellte an der Kasse meinen Freund lange an. Dann sagte er: „Entschuldigung, aber das System ist abgestürzt. Ich kann euch keine Filme ausleihen.“ Wir verließen den Laden. Auf der Straße sahen wir durch die Schaufenster, dass andere Kunden mit vollen Taschen aus dem Geschäft kamen. Offenbar funktionierte das System, der Verkäufer hatte nur ein Problem mit unserer Homosexualität.

Ich bin nach all dem, was ich durchgemacht habe, traumatisiert. Trotzdem möchte ich weitermachen, in Berlin als DJ auflegen, mein Studium beenden und hier glücklich werden. Ich produziere auch eigene Songs. Meine Musik gibt mir Kraft; sie hilft mir, meine Traumata zu verarbeiten.

Ich hoffe, bald eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Dann kann ich richtig loslegen. Ich will auf keinen Fall als bemitleidenswerter Flüchtling abgestempelt werden, sondern zeigen: Ich bin stark, ich kann hier in Deutschland viel beisteuern. Deshalb will ich Deutsch lernen, zum Glück habe ich hier in der Akademie die Gelegenheit dazu.“

"In Freiheit will ich selbst entscheiden, wo ich lebe"

Maguy, Flüchtling aus dem Libanon

PROTOKOLL Franziska M. Schade

„Mein Name ist Maguy, ich bin 25 Jahre alt und transsexuell. Ich bin Make-Up-Artist, Model und Tänzer. Vor vier Monaten bin ich aus Beirut nach Deutschland gekommen, weil ich in meinem Heimatland, dem Libanon, meine Sexualität nicht offen ausleben konnte.

Auch wenn sich der Libanon nach außen tolerant präsentiert, ist er immer noch ein arabisches Land. Man muss sich als homo- oder transsexueller Mensch verstecken, weil man sonst für seinen Lebensstil Probleme mit der Polizei bekommen oder im Gefängnis landen kann. Schwule Touristen sind im Libanon willkommen, aber die Einwohner sollen heterosexuell leben. Ich habe mich nie versteckt und bekam deshalb auch Probleme. Die Leute haben Fotos von mir gemacht und sie im Fernsehen veröffentlicht.

Homosexualität ist in den Medien im Libanon ein großes Thema. Es gibt Talksendungen im Fernsehen, in denen die Leute schlecht über Menschen wie mich sprechen. Sie sehen Homosexualität als großes Problem an, sehen aber nicht, dass wir ihnen nichts tun und einfach nur normal leben wollen. Ich habe viel verloren in dieser Zeit – mehr als meinen Job und meine Wohnung.

Deshalb bin ich Anfang Mai aus dem Libanon nach Deutschland gereist. Noch lebe ich in einem Containerdorf in Buch. Zum Glück ziehe ich aber bald in eine Wohnung. Mein Zimmer im Containerdorf ist etwa zwei mal zwei Meter groß und alles ist strahlend weiß. Das Bett, der Boden, die Wände – es ist wie in einem Labor. Ich habe Klau­strophobie und wache in dieser kleinen Kiste morgens manchmal mit Panikattacken auf. Die meisten Sozialarbeiter im Heim wollen helfen, wissen aber nicht wie, weil sie dafür keine spezielle Ausbildung bekommen haben. Homosexuelle Menschen sind meist angreifbarer und sensibler als andere, weil sie wegen ihrer Sexualität Erniedrigungen ertragen müssen. Besonders dann, wenn sie aus einem Land kommen, in dem sie ihre Sexualität verstecken mussten.

Ein eigenes Heim für queere Flüchtlinge wäre die beste Lösung. Dann müssten wir auch nicht mehr mit den anderen Flüchtlingen zusammenwohnen. Die Situation im Heim ist sehr unangenehm und merkwürdig für mich. Die Kinder sehen mich als eine Art Barbiepuppe und sprechen mich an. Die Eltern ziehen sie von mir weg und sagen, dass ich kein Mädchen, sondern ein Mann bin. Weil es ihnen niemand erklärt, haben die Kinder dann Angst. Erwachsene Flüchtlinge fürchten mich wie einen Außerirdischen. Viele von ihnen sind Araber und finden meine Lebensweise unnatürlich, beschimpfen mich, weil ich anders bin.

In der letzten Woche hat ein arabischstämmiger Mann in der U-Bahn versucht, mich zu schlagen. Die Deutschen auf der Straße sind da ganz anders. Ich habe noch niemanden getroffen, der nicht nett zu mir war. Die Berliner sind freundlich, sehr hilfsbereit und tolerant.

Ich denke, dass Flüchtlinge in Deutschland Kurse bekommen sollten, in denen sie lernen, welche Standards und welche Rechte in diesem Land gelten – nicht nur in Bezug auf Transgender. Das würde das Verhalten der Leute in den Flüchtlingsheimen vielleicht verbessern. Wichtig wäre vor allem, dass die Bildung zu den Menschen in die Heime kommt und sie sich nicht erst Kurse suchen müssen. Denn viele wissen gar nicht, dass oder welche Bildungsangebote es gibt.

Mein Wunsch für die Zukunft ist, aus dem Heim hier in Buch herauszukommen. Ich möchte meine Freiheit, deswegen bin ich hier. Und in Freiheit will ich selbst entscheiden, wo ich lebe. Ich möchte in der Innenstadt und nicht abseits davon wohnen. Ich weiß, dass sich alle meine Träume erfüllen können. Die deutsche Bürokratie macht es einem aber sehr schwer, etwas aufzubauen und zu beweisen, dass man wirklich hier leben will. Ich möchte, dass dieses Land, wenn es mir Asyl gewährt, später einmal stolz ist und sagt: „Diese Person kam als Flüchtling, jetzt hat sie eine Wohnung, einen Job und ist eine Bereicherung für uns.“ Ich möchte mein Modedesign-Studium in Berlin beenden und danach in der Modebranche Arbeit finden.

Deshalb will ich möglichst schnell Deutsch lernen. Der Unterricht im Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule ist mir sehr wichtig. In der Sommerakademie fühle ich mich wohl, wohler als in normalen Lerngruppen. Hier werde ich so akzeptiert, wie ich bin.“