Ignorierte Polizei, Einheits-Brimborium, Reichskulturkammer-Pop und ein paraphrasierter Woody Allen
: Ein Haufen Scheiß und ein zertrümmertes Klavier

Ausgehen und Rumstehen

von Andreas Hartmann

Achtung! Achtung!“, ruft einem die Polizei auf der Dorotheenstraße entgegen, auf der Besucher des „Festivals der Deutschen Einheit“ versuchen, über einen Umweg doch noch irgendwie auf die bereits wegen Überfüllung gesperrte Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor zu kommen. „Achtung! Achtung!“, tönt es also, „verlassen Sie die Fahrbahn und benutzen Sie bitte den Bürgersteig.“ Vielleicht liegt es an den Flüchtlingen (die ebenfalls in Scharen auf der Wiedervereinigungsparty zugegen sind, wie man später bei einem Beitrag auf RBB erfahren kann), die des Deutschen noch nicht so mächtig sind – jedenfalls hört kaum jemand auf die Polizei und man eilt weiter auf der Straße der Fanmeile zum Jubiläum der Einheit entgegen. Weil man zu der Bühne am Brandenburger Tor, auf der Revolverheld, Lena und Konsorten auftreten, gerade sowieso nicht durchkommt, geht es erst mal weiter zum HKW, in Rufweite zum Hurra-Deutschland-Spektakel gelegen.

Dort treten die Münchner Band FSK und Trümmer aus Hamburg im Rahmen der Ausstellungseröffnung von „100 Jahre Gegenwart“ auf. Man kommt nicht drum rum, dieses Konzert als direkte Gegenveranstaltung zum Einheits-Brimborium zu deuten. FSK performen ihre Auftragskomposition „Ein Haufen Scheiß und ein zertrümmertes Klavier“, was schon vom Titel her einen guten Gegensatz zum schwarz-rot-goldenen Aufbauprogramm nebenan bildet, zu dem Hunderttausende gekommen sind. Auch der Name der zweiten Band des Abends im HKW passt da ganz gut: Die Band heißt Trümmer.

Der Gegensatz zwischen dem HKW-Programm und dem Einheitsfestival wirkt wie eine Untermauerung der Thesen, die in einem kleinen Büchlein verhandelt werden, das gerade die Runde macht und das den Titel trägt: „Deutschpop, halt’s Maul!“ In dem Essay versucht der Autor Frank Apunkt Schneider zu belegen, dass deutsche Popmusik seit ihrer Erfindung kaum etwas anderes im Schilde geführt habe, als sich endlich mit dem Staat Deutschland einverstanden zu erklären. Vor der Wiedervereinigung sei das nicht so leicht gewesen, seit 25 Jahren aber sei deutscher Pop der Soundtrack zur neuen Identität eines ungeteilten Deutschlands. Ein paar Gute, die sich diesem Ansinnen tapfer verweigern, gebe es nach Schneider jedoch auch; vorneweg nennt er tatsächlich immer wieder FSK.

Das Buch nervt zwar mit seinem Sound, der den Eindruck erwecken will, als würde deutsche Popmusik wieder von einer Reichskulturkammer gelenkt werden, aber wenn man sich anschaut, was da vor dem Brandenburger Tor so geboten wird, kommt man nicht um die Erkenntnis herum, dass Schneider in vielem nicht ganz unrecht hat. Lena trägt noch einmal „Satellite“ vor – ihr Stück, mit dem sie für Deutschland den Euro Song Contest gewonnen hat. Und Felix Jaehn tritt auch auf, also der Typ, dessen Remix des Stücks „Cheerleader“ die Spitze der US-Charts erklimmen konnte, was die deutsche Musikbranche schier durchdrehen ließ vor Stolz; dabei stammt das Stück eigentlich von dem ja­maikanischen Reggae-Sänger Omi.

Aber wenn man dann endlich doch noch zum „Festival der Deutschen Einheit“ durchgelassen wird und live auf der Bühne Jupiter Jones sieht, die ihren unbeholfenen Deutschrock zum Besten geben, reift doch ziemlich schnell die Erkenntnis, dass man sich vor einem Popgroßdeutschland dann doch nicht wirklich zu fürchten braucht. Schlechte Popmusik und Deutschland gehören schon ein wenig zusammen. Das ja. Aber wer Jupiter Jones hört, der will wahrscheinlich nicht (um Woody Allen zu paraphrasieren) gleich noch einmal in Polen einfallen.