Wenn die Kinder nicht mehr in den Zoo wollen, sondern lieber aufs Schlachtfeld
: Virtuelle Hasenplage

Foto: Axel Völcker

Tier und Wir

von Heiko Werning

Manchmal wundere ich mich ja schon ein wenig, was wir da eigentlich machen. Aber seit die Kinder „My super cute Zoo“ im Internet entdeckt haben, gibt es kein Halten mehr. Dort tummeln sich Braunbären und Gürteltiere, Ameisenbären und Erdmännchen. Mit einem Wort: Wir haben Level 22 erreicht! Morgens vor der Schule, nachmittags nach dem Hort und abends vor dem Schlafengehen loggen wir uns ein, um unsere Tiere zu füttern, zu pflegen und mit ihnen zu spielen. Man fährt mit der Maus über den Bildschirm, auf dem sie in adretten Gehegen lustig animiert herumhüpfen, und klickt dann dreimal auf jedes Exemplar. Einmal für Futter, einmal für die Bürste, einmal für den Ball. Bei den Papageien ist das gar nicht so einfach, weil die immer so herumflattern, da trifft man kaum. Hat man das oft genug gemacht, steigt man auf und kann neue supersüße Tiere kaufen. In Level 23 etwa locken das Rüsselschwein und sogar der Komodowaran!

Anfangs habe ich mich noch strikt geweigert, diesen Quatsch mit ihnen zu spielen. Aber die Kinder waren so fasziniert davon, und alleine will ich sie auch nicht an den Computer lassen. Immerhin besser, als wenn sie irgendwelche Zombies abschießen. Obwohl – wirklich?, grübele ich, während ich stumpf drei Mal auf jeden unserer 53 Hasen klicke, die dann dreimal supersüß vor sich hinmümmeln. Die gibt es dauernd zur Belohnung, wenn man mal wieder nach dem Zoo guckt. Deswegen leiden wir unter einer veritablen Hasenplage. Leider fehlt die Option, die einen Zootiere an die anderen zu verfüttern. Das wäre wohl nicht mehr supersüß genug. Ganz wie in echt also.

„Los Kinder, wir gucken nach dem Zoo!“, rufe ich abends fröhlich ins Wohnzimmer, als ich nach Hause komme. „Mach du mal“, sagen sie, „im Fernsehen kommt Spongebob!“ Na, soweit kommt das noch, dass ich für die Herren Söhne die virtuellen Hasen füttere! Man kennt das ja von echten Haustieren. Erst wollen die Kinder unbedingt welche haben, und dann bleiben am Ende die Eltern drauf sitzen. Aber jetzt dreimal am Tag ihre Internet-Tiere füttern, das geht dann doch zu weit. „Aber nur ausnahmsweise“, sage ich bestimmt, während ich den Rechner hochfahre.

Es ist ein großer Triumph, als ich eines Nachmittags verkünden kann: „Jungs, wir haben jetzt Komodowaran-Babys!“ Da habe ich lange dran gearbeitet. Natürlich nur, um sie zu überraschen. Die Reaktion fällt allerdings nicht ganz so aus wie erhofft: „Ach, der Zoo ist doch langweilig. Wir wollen Clash of Clans spielen.“ „Clash of Clans?“, frage ich irritiert. „Ja, da muss man ein Dorf aufbauen und Krieg führen und man kann Lavahunde kaufen!“ „Lavahunde? Wir haben Komodowarane!“ Es hat keinen Sinn.

Nachts, bevor ich ins Bett gehe, rufe ich „My super cute zoo“ noch einmal auf. Die Komodowaran-Babys sind wirklich superniedlich. Wenn man sie anklickt, zischen sie süß. Ich bin ein kleines bisschen stolz auf mich. Das habe ich ganz allein geschafft. Ein letztes Mal füttere ich die Nashörner, Warzenschweine, Polarfüchse und Hasen. Ich wünsche ihnen alles Gute. Dann schließe ich das Programm. Für immer.

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