Berliner Szene: Tennis
Kein Ballgefühl
Diesmal spielt Max gegen ein achtjähriges Mädchen. Während er treffsicher Federball um Federball übers Netz bringt, schlägt seine Gegnerin bereits beim Aufschlag regelmäßig vorbei. Zum Glück, denke ich. Denn er weint immer, wenn er verliert. Bei seiner Gegnerin, Janina, sind eher die dazugehörigen Erwachsenen das Problem. „Konzentrier dich!“, ruft eine ältere Frau, vermutlich die Großmutter. Die Angesprochene überhört den Hinweis und haut erneut ins Leere. „Den Ball treffen! Nicht die Luft. Stell dich doch nicht so an!“, motiviert meine Sitznachbarin, wohl die Mutter. „Wir haben das doch gestern geübt, Janina!“, jammert sie vorwurfsvoll. Janina lässt sich nicht beirren und arbeitet verbissen daran, ihren Rückstand auf Max auszubauen. Die Großmutter atmet aus: Ooohhh. Mami erhebt sich und eilt zu ihrer Tochter: „Gib mal den Schläger her!“ Bevor ihr Kind der Aufforderung nachkommen kann, reißt sie ihm das Gerät aus der Hand: „Hier! So muss der Aufschlag kommen.“ Sie holt aus und drischt den Ball ins Netz. Max erklärt ihr, dass der Ball drüber müsse. Er holt ihn sich und demonstriert ihr, wie eine gelungene Spieleröffnung auszusehen hat. Die Mutter schlägt am Ball vorbei. Dann herrscht sie Janina an: „Jetzt hast du mich ganz durcheinandergebracht! Los, gib dir mal Mühe!“
Wir hatten unseren fünfjährigen Sohn eigentlich vom Fußball abgemeldet, weil wir keine Lust auf die Aggro-Eltern am Spielfeldrand hatten. Die Mutter setzt sich wieder: „Die hat einfach kein Ballgefühl.“ Oma nickt. Der nächste Aufschlag meines Sohns landet im Feld von Janina. Ihre Mutter beugt sich zu mir: „Der kann aber gut spielen. Wie alt ist er denn?“ – „Drei! Aber seine kleine Schwester spielt besser“, lüge ich, um die Konversation abzuwürgen. Mit Erfolg. Den Rest des Trainings lässt sie mich in Ruhe. Und Janina auch. Stephan Serin
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