Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNING

Paris, das ist die Stadt in den frühen Filmen der Nouvelle Vague: von den Gangster-Genre-Variationen in Jean-Luc Godards „A bout de souffle“ (1959) und Louis Malles „L’ascenseur pour l’echafaud“ (1958) über die sommerlichen Irrwege eines geld- und quasi obdachlosen Amerikaners in Eric Rohmers „Le signe de lion“ (1959) bis zur mysteriösen Suche auf den Spuren einer Verschwörung in Jacques Rivettes „Paris nous appartient“ (1958).

Selbst in François Truffauts erstem langem Spielfilm „Les quatre cents coups“ (1959), der schonungslos und direkt von der unglücklichen Kindheit und den kriminellen Eskapaden von Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) erzählt, scheinen alle Wege irgendwie immer zum Eiffelturm zu führen. Vom frühreifen Kleinkriminellen wuchs Doinel in einem Zyklus von vier weiteren Werken dann zu einem liebenswerten Filou heran; entsprechend unbeschwerter wurde die Tonart der Filme, von denen „Domicile conjugal“ (1970) als der verspielteste gelten darf: Antoine hat geheiratet, ein Baby ist unterwegs und die Wohnung im Pariser Hinterhof wird vergrößert. Doch seine Träume hat er deswegen nicht aufgegeben: Antoine macht sich auf die Suche nach dem absoluten Rot, schreibt an einem epochalen Roman über sich selbst, und flirtet, weil er sich mit dem alltäglich Vertrauten einfach nicht arrangieren kann, schon mit der hübschen Japanerin Kyoko – die ihn allerdings bald genauso langweilt wie seine Frau.

Auch Agnès Vardas „Clèo de 5 à 7“ (1961), in dem die Regisseurin einer Sängerin eineinhalb Stunden auf ihren Wegen folgt, während diese auf das Ergebnis einer Gewebeuntersuchung wartet, ist eine Art Roadmovie in Paris: Denn während die Angst vor dem Krebs den Blick der eher oberflächlichen jungen Frau auf sich selbst verändert, flaniert sie auf den Boulevards und im Park und unternimmt längere Taxi- und Busfahrten zu ihrer Wohnung und zum Hospital. Dabei beschreibt Cléos Reise zur Selbsterkenntnis in der Geografie von Paris einen Halbkreis, in dessen Scheitelpunkt mit dem Parc de Montsouris der Ort ihrer Begegnung mit einem jungen Soldaten steht, dessen Bekanntschaft sie nüchterner auf die Welt blicken lässt.

Eine Nouvelle-Vague-Retro (die allerdings ausschließlich recht vertraute Pfade beschreitet) präsentiert das Babylon Mitte ab 18. Januar; zur Eröffnung gibt es eine Gesprächsveranstaltung mit Stargast Jean-Pierre Léaud, der ja nicht nur in den Filmen Truffauts, sondern auch in Werken von Godard und Jean Eustache der „Neuen Welle“ ein Gesicht gab. (A bout de souffle 19. 1., 23. 1., L’ascenseur pour l’echafaud 18. 1., Le signe de lion 18. 1., Paris nous apartient 21. 1., Cléo de 5 à 7 21. 1., Les quatre cents coups 19. 1., Domicile conjugal 19. 1. im Babylon Mitte, alle OmU)