Klischee und comme il faut

Konzert Sänger Bryan Ferry riss am Vorabend seines 70. Geburtstags das eigentlich gesetzte Publikum im Tempodron von seinen Sitzen – so sehr, dass entrüstete Ordner alle wieder zum Platznehmen ermahnten

Bryan Ferrys Stimme klang wie mit einem Reibeisen bearbeitet, aber selbst das Verbrauchte steht ihm ausgesprochen gut Foto: Christina Kratsch/Pop-Eye

von René Hamann

Natürlich war es ein perfekter Abend. Bryan Ferry trug eine schwarze Hose, ein schwarzes Hemd, darüber ein Jackett – und er spielte ein perfekt durchinszeniertes Konzert, vor allen Dingen in der ersten Hälfte dieses Abends, der zufällig auch der Vorabend seines 70. Geburtstags war. Happy Birthday!

Es muss irgendwann eingangs der achtziger Jahre gewesen sein, als sich Bryan Ferry entschieden hat, auf den Rock ’n’ Roll und die Experimente zu pfeifen und fortan perfekte Radiomusik zu machen. Perfekt im Ferry’schen Sinn: durchästhetisiert, immer geschmackssicher, mit Elementen durchsetzt, die genau die Balance zwischen Klischee und comme il faut halten.

So war das auch an diesem Freitagabend: Er hatte eine zehnköpfige Begleitband dabei – perfekt, um nicht ­gecastet zu sagen. Es gab den mitalternden Gitarristen, die schwangere Saxofonistin im knappen Abendkleid, es gab den Jungposeur an der Leadgitarre mit Halskettchen und albernem Hut, und es gab das Gospeltrio, das eben so aussah, wie ein Gospeltrio auszusehen hat.

Drink auf der Hotelveranda

Der Meister ließ es sich indes nicht nehmen, im Zweifel die kleine Orgel, die Mundharmonika oder das Pfeifsolo selbst zu übernehmen – selbstredend im Lennon-Song „Jealous Guy“, von dem man sagen kann, dass das Original längst hinter der Ferry-Version zurückgetreten ist.

In der ersten Hälfte des Konzerts herrschte also diese perfekte Radiomusik, die so gut vor die Verkehrsmeldungen im ARD-Nachtkonzert passt; immer auch mit einem Anflug von wahlweise New Romance oder Airbrush oder einer sonst wie gearteten Hochglanzesoterik. „Avalon“, so hieß die letzte reguläre Roxy-Music-Platte von 1982, das späte Ende des Glam Rock.

Ferrys neues Album indes heißt „Avonmore“ und hat noch viel mehr von dieser Musik zu bieten: Es gibt da immer einen sanft einfühlsamen You-and-Me-Text, es gibt immer einen Drink auf der Hotelveranda oder dem schottischen Anwesen bei Sonnenuntergang. Es gibt immer eine Hügellandschaft und eine Oboe, eine Flöte oder ein Saxofon, das aus dem Nebel aufsteigt, um eine einsame Melodie zu spielen.

Andererseits wäre da auch die Schweinerockgitarre – schließlich gilt es auch, ein Erbe zu verwalten. Roxy Music waren eine Größe in Sachen Glam Rock. Aber Bryan Ferry, von Kogenie Brian Eno längst verlassen, muss sich an einem dieser Frühachtzigerabende, während er an einem Acryltresen in einem Londoner Nachtclub auf das nächste Model wartete, das seine feste Freundin wurde, gedacht haben, dass der frühe Tod, Heroin oder Discopop für ihn keine Option sind.

Die Liebesdroge

Aber klar, Ferrys Droge war von jeher die Liebe! Erstaunlich genug, dass er von 1982 bis 2003 mit ein und derselben Frau verheiratet war, nämlich mit Lucy Helmore. Inzwischen hat er sich just von seiner letzten Freundin getrennt, einer jungen Dame im Alter seiner Söhne. „Love is the Drug“ war an diesem Abend im ausverkauften Tempodrom auch der Wendepunkt, nach einer Pause, die von einem unerträglichen Esoterikinstrumental beherrscht wurde und mir fast die Schuhe ausgezogen hätte. Danach kamen die altbewährten Hits: „Do the Strand“, „Let’s Stick Together“, sogar „Virginia Plain“ hat er gegeben. Das eh etwas gesetzte Publikum in der bestuhlten „Manege“ riss es von den Sitzen – so sehr, dass entrüstete Ordner alle wieder zum Platznehmen ermahnten.

Natürlich muss man an dieser Stelle auch über das Alter reden: Bryan Ferry hatte dieses zuerst für den letzten November angesetzte Konzert wegen einer Kehlkopfentzündung verschieben müssen. Seine Stimme klang immer noch brüchig, wie mit Reibeisen bearbeitet, aber selbst das Alte und Verbrauchte steht diesem Mann wie sonst kaum einem. David Bowie möchte ich im Vergleich erst mal sehen. Trotzdem merkte man auch Ferry an, wie beschwerlich natürliche Bewegungen werden können.

Trotzdem endete der Abend mit einem perfekt dargebrachten Potpourri seiner Welthits. Die Leute, mithin selbst nicht mehr die Jüngsten, waren überaus dankbar. Ferry feierte sich und freute sich vermutlich schon auf die nach guten Ledersitzen geruchsdesignte Limousine, die ihn zur kleinen Geburtstagsparty in die Lieblingshotelbar bringen sollte.

Vielleicht beschlich ihn zu später Stunde noch ein kleiner Gedanke, der ungefähr lautete: Dieses Berlin wird auch immer schicker. Gut so.