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Fernbus in eine bessere Zukunft

Kino In den Beiträgen des Filmfestivals San Sebastián wird deutlich, wie zutiefst zerrissen das Land ist und wie man das Glück überall sucht – nur nicht in der Heimat

Eskapismus als Chance: „Mi gran noche“ Foto: Still: Festival S. Sebastián

aus San Sebastián Thomas Abeltshauser

Am Sonntag stehen in der spanischen Region Katalonien vorgezogene Neuwahlen an. Alles deutet darauf hin, dass die Separatisten dabei die absolute Mehrheit erringen werden. Am Tag davor geht in der anderen autonomen Region Spaniens, dem Baskenland, das wichtigste Filmfestival der iberischen Halbinsel zu Ende. Und die in San Sebastián präsentierten spanischen Produktionen zeichnen das Bild eines zutiefst zerrissenen Landes.

Im schrillsten Beitrag, „Mi gran noche“, scheut sich Kult­regisseur Álex de la Iglesia wie zu erwarten nicht vor kollektivem Exorzismus der drastischen Art. In der Satire wird in einem TV-Studio bereits im Oktober die Silvestersendung aufgezeichnet, die ausgelassene Stimmung der Komparsen ist ebenso gefakt wie das Plastikessen auf den Tellern, während draußen die Proteste gegen Massenentlassungen eskalieren. Der Riss geht hier nicht durch die Regionen, sondern durch die gesamte Gesellschaft, die sich zu Tode amüsiert, um das reale Elend nicht wahrnehmen zu müssen. Trashfernsehen als Eskapismus, in das in der besten Szene des Films plötzlich die dunkle Vergangenheit einbricht, als bei einer Gesangsnummer auf den Bildschirmen Aufnahmen von Franco auftauchen. Ein technischer Fehler? Wie immer schießt de la Iglesia grandios übers Ziel hinaus, sein Humor ist brachial.

Im Krisensumpf

„Pikadero“ ist da sehr viel bedächtiger in seiner Betrachtung der verlorenen Generation Spaniens aus der Außenseiterperspektive. Der 27-jährige Schotte Ben Scharrock drehte im Baskenland und in baskischer Sprache eine lakonische Liebeskomödie zweier Dreißigjähriger, die krisenbedingt noch immer bei ihren Eltern leben und deshalb nie richtig zusammenkommen können. Gorka träumt nur von einer Festanstellung, während Ane Englisch lernt, um nach Edinburgh auszuwandern, Gorkas bester Freund will nach Berlin. Aber sie stecken fest im alles lähmenden Krisensumpf.

Auch im Regiedebüt von Lara Izagirre, „Un otoño sin Berlin“, erscheint die deutsche Metropole als großes Versprechen. Die junge Baskin June kehrt von dort nach längerer Zeit in ihre Kleinstadt zurück und trifft auf eine entfremdete und erstarrte Heimat. Ihr Vater spricht nicht mit ihr, ihr Exfreund hat sich depressiv in seiner Wohnung verschanzt. Sie schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, versucht sein Vertrauen wiederzugewinnen. Irgendwann geht er wieder vor die Tür. Sie planen gar einen gemeinsamen Neubeginn in Berlin. Aber am Ende sitzt sie doch allein im Fernbus in eine vielleicht bessere Zukunft.

Einen antiquierten Vaterlandsbegriff beschwört Asier Altuna in seinem esoterischen Heimatfilm „Amama“, dem zweiten baskischsprachigen Wettbewerbsbeitrag in der Geschichte des Festivals. Die Menschen sind hier wie verwurzelt im Boden ihrer Vorahnen, auf den Bauernhöfen herrschen uralte Rituale, die nur zaghaft von den Jüngeren hinterfragt werden. Es geht um Genera­tio­nenkonflikte, die in anderen Teilen Europas schon vor Jahrzehnten ausgefochten wurden. Aber sie scheinen eh vor allem Vorwand zu sein, um sich noch einmal des Mythos einer eigenständigen baskischen Volkskultur zu versichern, die einer eigenen Nation bedarf. Passend dazu wird heute im Wettbewerb mit „Un dia perfecte per volar“ ein katalanischer Film in Re­gio­nalsprache gezeigt, der schon auf dem Plakat klarmacht, unter welcher Flagge er läuft. Der Filmtitel steht dort auf Katalanisch und Baskisch. Der spanische wurde einfach gleich ganz weggelassen.

Cesc Gay, ebenfalls Katalane, schert sich um derlei Regionalismen nicht. Sein neuer Film, „Truman“, einer der besten Beiträge des Festivals, spielt in Madrid und handelt von zwei alten Freunden, die sich beide fernab ihrer Geburtsorte niedergelassen haben. Der Argentinier Julian (Ricardo Darin) bekommt Besuch von Tomas (Javier Camara), der vor Jahren für einen Lehrauftrag aus Spanien nach Kanada gezogen ist. Vier Tage hat Tomas, um seinen krebskranken Freund davon abzubringen, sein Leben aufzugeben. „Truman“ ist klassisches Erzählkino mit großartigen Dia­logen und bis in kleinste Regungen exzellenten Hauptdarstellern, das Hoffnung für das spanische Kino macht.

Ein Horrorszenario

Alejandro Amenábar, seit seinem Mysterythriller „The Others“ mit Nicole Kidman einer der international bekanntesten Filmemacher Spaniens, kehrt im Eröffnungsfilm „Regression“ seiner Heimat gleich ganz den Rücken und erzählt von angeblichen Satanskulten im Minnesota Anfang der Neunziger. Wenig subtil baut Amenábar ein Horrorszenario auf, das als kollektive Hysterie in sich zusammenfällt und bei dem das Opfer-Täter-Verhältnis ungut auf den Kopf gestellt wird.

Agustín Villaronga begibt sich für seinen neuen Film, „El Rey de la Habana“, in ein anderes Krisengebiet: Kuba, ebenfalls neunziger Jahre, als das Land unter einer massiven Wirtschaftskrise litt und es kaum Lebensmittel gab. In seiner Adaption des Romans „Der König von Havanna“ von Pedro Juan Gutiérrez trotzt der grenzdebile Protagonist dem kargen Dasein hemmungslos mit Sex, Rum und Gaunereien. Der Tanz auf dem Vulkan endet nicht einfach tragisch, sondern nahezu apokalyptisch. Ein schundig-derbes Sozialmärchen, auch das eine Art von Eskapismus.

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