Ganz tief unten

Deutschpop Sie waren die musikalisch vielleicht erwachsenste Band der Hamburger Schule: Tilman Rossmy spielte mit seinervor Kurzem wiedervereinigtenBand Die Regierungin Originalbesetzungim White Trasheinige der frühen Hits

Es hätte alles auch ganz anders kommen können. „Wir waren fast berühmt, aber dann ging auch das vorbei“, wie Tilman Rossmy, Kopf der Band Die Regierung, zur Eröffnung des Konzerts am Dienstagabend im White Trash schon selbst befand. Die Regierung lösten sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, aber eben kurz bevor es so richtig losging, auf. 1994 erschien ihre letzte und erfolgreichste Platte. Ihr Name war selbstredend „Unten“.

Vielleicht kann man eine solche Karriere nicht ohne das Ruhrgebiet denken und den Verfall und die Nonchalance, die diesem unterhöhlten Landstrich schon immer zu eigen waren. Tilman Rossmy, gebürtiger Essener, gründete die Band bereits im Jahre 1982, bevor er sie „aus privaten Gründen“ acht Jahre ruhen ließ. Das Scheitern wurde immer schon mitgedacht in der Regierung.

Aufwärts ging es nach zwei eher selten verkauften Platten erst, als die Band dem damals noch starken allgemeinen Ruf nach Hamburg folgte, auf die dort just gegründete Schule. „So drauf“ und „Unten“ erschienen bei dem Label L’Age D’Or, Thies Mynther spielte auf letzter Platte großartig Klavier, Bernd Begemann war neidisch.

Die Regierung, musikalisch vielleicht die erwachsenste Band dieser Richtung, hätten groß werden können. „Unten“ hatte textlich die Lakonie, die den anderen eher abging, und musikalisch schien das alles mit leichter Hand daherzukommen. Und Rossmys Stimme ist eben Rossmys Stimme, es hätte auch ein ganz anderes Publikum Gefallen finden können an dieser deutschsprachigen Musik, die Melodien waren da. Die Einfachheit irgendwie auch. Rossmy konnte mit kurzen, unprätentiösen Texten viel erzählen.

So aber verschwand das Quartett bald im Vergessen. Solo konnte Rossmy das Niveau der Band nie wieder erreichen, weder in der Qualität noch in der Quantität verkaufter Einheiten. Bald zottelte er ähnlich bemitleidenswert durch die Lande wie die Konkurrenz Begemann oder Tom Liwa; und man fragte sich bald, woran dieses Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit lag. Bei Begemann oder Liwa hat es eben nie für Größeres gereicht. Bei der Regierung aber war doch eigentlich alles gegeben.

Es kam der Tag, wo man ihre Namen googelte wie die lang verflossener Liebschaften; Rossmy ging in München mittlerweile einem ordentlichen Beruf nach. Und dann wurde es 2015, und jetzt tourt er wieder, mit Band fast in Originalbesetzung, und spielt mit Wohlstandsfigur in roten Jeans und weißem Hemd vor fast vollen Häusern die alten Hits. Auch hier liegt die Betonung auf „fast“. Es gab noch Platz im White Trash, aber vielleicht war das auch egal. Rossmy und Band betonten das Un­derstatement, brachen öfter mal die Songs ab, Bernd Begemann geisterte immer noch als Running Gag durch den Abend, und im Publikum war niemand, wirklich niemand jünger als, ­sagen wir, 35. Die Regierung spielten fast alle Hits, wobei sie die ganz frühen anscheinend lieber spielten als die von „Unten“. Es war gut. Persönliche Notiz zum Schluss: Mein Lieblingsstück, „Das Mädchen, das jeder will“, spielten sie natürlich nicht. Lieblingsbands spielen nie die Lieblingsstücke auf Konzerten. Außerdem war besagtes Mädchen verhindert, ich war allein da. So allein, so drauf, unten, im „Supermüll“. René Hamann