VW-Skandal

Viel mehr Autos als angenommen sind von den manipulierten Abgastests betroffen. Schummeln andere Hersteller genauso dreist?

Winterkorn lehnt Rücktritt ab

Mobilität VW-Chef Martin Winterkorn will den Manipulationsskandal selbst aufklären. Elf Millionen Fahrzeuge weltweit betroffen

Genaue Untersuchung? VW-Chef Winterkorn auf einer Messe Foto: Marijan Murat/dpa

von Richard Rother

BERLIN taz | Wie das dialektische Gesetz vom Umschlag von Quantität und Qualität funktionieren könnte, ließ sich am Dienstag am Beispiel des VW-Skandals beobachten. Der Wolfsburger Autokonzern musste zugeben, dass sich die Software zur Manipulation von Abgaswerten weltweit in elf Millionen Dieselfahrzeugen befindet; am Vortag war noch von knapp einer halben Million Autos in den USA die Rede.

Damit hat der Skandal eine neue Dimension erreicht – Volkswagen steckt in einer existenziellen Krise. Denn unklar ist, ob die 6,5 Milliarden Euro, die der Konzern für die Beseitigung der Schäden einplant, reichen werden. Der Kurs der VW-Aktie jedenfalls brach erneut dramatisch ein; zeitweise gab er um über 20 Prozent nach. VW-Chef Martin Winterkorn lehnte einen Rücktritt dennoch ab.

Die Steuerungssoftware ist laut VW in Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 zu finden. Bei diesem Motortyp sei eine „auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb“ festgestellt worden. Volkswagen arbeite daran, diese Abweichungen „mit technischen Maßnahmen“ zu beseitigen. Die Rückstellungen im Umfang von 6,5 Milliarden Euro seien zur Abdeckung notwendiger Service-Maßnahmen und weiterer Anstrengungen erfolgt, um das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. Aber es heißt auch: „Aufgrund der laufenden Untersuchungen unterliegt der angenommene Betrag Einschätzungsrisiken.“ Im Klartext bedeutet das, dass es auch viel teurer werden kann.

Bald Ladenhüter? VW-Auto in den USA Foto: Shannon Stapleton/reuters

Die US-Umweltbehörde hatte am Freitag bekannt gegeben, dass Volkswagen eine Software eingebaut hat, mit der Vorgaben zur Luftreinhaltung zwar bei Tests, nicht aber beim normalen Betrieb von Dieselautos erfüllt wurden. Die Fahrzeuge stießen im regulären Betrieb auf der Straße mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus als erlaubt, und zwar bis zu 40-mal mehr.

Die Präsidentin des Umweltbundesamts, Maria Krautzber­ger, erklärte am Dienstag, die „Abgas-Betrügerei“ von VW täusche nicht nur die Kunden, sondern gefährde durch schlechtere Luft auch die Gesundheit der Bürger. „In Deutschland lagen 2014 immerhin 62 Prozent der städtischen verkehrsnahen Messstellen über dem EU-Grenz­wert für Stickstoffdioxid.“ Die Emissionen aus Diesel-Pkws hätten daran einen erheblichen Anteil. Die USA seien bei der Emissionskontrolle – allen Manipulationen zum Trotz – schon weiter: „Dort sind Manipulationen an der Abgasminderung der Pkws ausdrücklich verboten und können mit schweren Bußgeldern belegt werden. Europa müsse bei den Kontrollverfahren nachbessern und verbindliche Tests auf der Straße mit anspruchsvollen Grenzwerten einführen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil bezeichnet die Folgen der Abgas-Manipulationen in den USA als besorgnis­erregend für den Konzern. Niedersachsen ist Großaktionär bei VW. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte eine rasche und volle Aufklärung des Skandals. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte die Einsetzung einer Untersuchungskommission an.

Stickoxide wirken sich negativ auf Mensch und Umwelt aus. Hauptquellen dieser Stoffe in Industrieländern sind Verbrennungsmotoren sowie Kohle-, Öl- und Gaskraftwerke. Der Straßenverkehr gehört daher zu den bedeutendsten Stickstoff­oxidquellen. Zusammen mit flüchtigen Kohlenwasserstoffen sind sie für die sommerliche Ozonbildung verantwortlich und tragen zur Feinstaubbelastung bei. Stickstoffoxide greifen die Schleimhäute an und führen so zu Atemwegserkrankungen. Zudem steigt das Risiko, an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu sterben. Stickstoffdioxid kann Pflanzen schädigen und trägt zur Überdüngung und Versauerung von Böden bei. (dpa)

Die Grünen-Umweltexpertin Bärbel Höhn forderte umfassende Untersuchungen auch in Deutschland. Die Bundesregierung habe sich in ­puncto Abgasbelastung durch Dieselfahrzeuge bislang „vor die Autoindustrie gestellt und bewusst negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Bundesbürger in Kauf genommen“. Neue Dieselautos könnten die strengen Abgasvorschriften in Europa und den USA nur mit deutlich teurer Technik erfüllen. Darum wolle sich VW offensichtlich drücken, so Höhn. Sie wäre nicht erstaunt, wenn demnächst auch noch andere Autofirmen bei ähnlichen Manipulationen erwischt würden.

VW steht auch international unter Druck. In den USA könnten die Manipulationen neben einer hohen Strafzahlung auch strafrechtliche Folgen haben. Das US-Justizministerium hat bereits entsprechende Ermittlungen eingeleitet. Südkorea kündigte eigene Untersuchungen an. Auch Italien leitete Untersuchungen ein. Die EU-Kommission reagierte am Dienstag zunächst zurückhaltend.