Spurensuche im Stadtbild

POSTKOLONIALISMUS Simone Dede Ayivis Performance „Performing Back“ begibt sich aus schwarzer Perspektive auf eine multimediale Reise durch die Gegenwart der deutschen Kolonialgeschichte – auch im Theater

Auf der Bühne lassen sie sich auch mal umwerfen: Kolonialdenkmäler Foto: Renata Chueire

von Robert Matthies

Blickt man in deutsche Schul-Geschichtsbücher, scheint es kaum noch der Rede wert: Vom November 1884 bis zum Februar 1885 tagten auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck Vertreter der USA, des Osmanischen Reiches und der europäischen Mächte in Berlin, um über die Handelsfreiheit am Kongo und am Niger zu beraten – und damit über die Erschließung und Ausbeutung des afrikanischen Kontinents durch die zukünftigen Kolonialmächte.

Afrikanische Stimmen wurden nicht gehört

Allerlei Abenteurer, Kaufleute, Bankiers und andere Kolonialenthusiasten trafen bei dieser „Kongo-Konferenz“ im Reichskanzlerpalais aufeinander – afrikanische Stimmen wurden natürlich nicht gehört: die Bevölkerung des Kontinents, seine Kulturen, politischen Systeme und Wirtschaftsbeziehungen wurden schlicht nicht als bedeutsam erachtet. In der Kolonialgeschichte spielt das Abschlussdokument der Konferenz, die Kongo-Akte, eine zentrale Rolle: das Papier war der Auftakt für die Aufteilung des Kontinents im „Wettlauf um Afrika“, der bis zum Ersten Weltkrieg andauern sollte.

In der öffentlichen Debatte und im kollektiven Bewusstsein in Deutschland ist die Erinnerung an die Kongo-Konferenz und ihre Folgen kaum präsent. Das zu ändern und anlässlich des 130. Jahrestages der Konferenz über Erinnerungs- und Darstellungspraktiken sowie Visionen zu diskutieren, hatte sich im Herbst vergangenen Jahres der Schwerpunkt „We are tomorrow“ am Berliner Ballhaus Naunynstraße vorgenommen.

Entstanden ist dabei als künstlerischer Beitrag auch Simone Dede Ayivis Performance „Performing Back“. Es ist eine akribische, sehr konkrete und persönliche Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe und seinen bis heute sichtbaren Konsequenzen. Statt sich am Abstraktum Kolonialismus abzuarbeiten, begibt sich Ayivi – als Darstellerin und Regisseurin in Personalunion – auf die Suche nach immer noch sichtbaren kolonialen Spuren im Stadtbild, bereist auf der Bühne unter anderem Orte ehemaliger Völkerschauen oder Kolonialdenkmäler, setzt sich mit Straßennamen und der Kolonialgeschichte auch heute noch bestehender Firmen auseinander.

Hamburger Version

In Hamburg ist am kommenden Freitag und Samstag im Lichthof Theater eine an die hiesige Kolonialgeschichte und das Hamburger Stadtbild angepasste Variante der Performance zu sehen. Lokale Bezüge seien wichtig, sagt Ayivi, weil erst über ihre Einbindung deutlich werde, dass der Kolonialismus weder ein längst vergangenes Kapitel der Geschichte noch etwas Abstraktes sei, dass „irgendwo“ stattgefunden habe. „So wird deutlich“, sagt sie, „dass dort, wo man selbst lebt, Menschen und Firmen vom Kolonialismus profitiert haben, der Wachstum der eigenen Region auf koloniale Ausbeutung bezogen ist.“

Zum Zweiten wolle sie zeigen, wie sich koloniale Spuren im Stadtbild eingeschrieben haben, dass sie, auch wenn sie in der öffentlichen Debatte nicht präsent seien, dies im öffentlichen Raum sehr wohl der Fall sei. „In jeder Stadt, in der ich bislang mit dieser Produktion aufgetreten bin“, erzählt Ayivi, „habe ich solche Spuren gefunden: Straßennamen, mit denen Kolonialverbrecher geehrt wurden, oder große Kolonialdenkmäler.“

Aber nicht nur das koloniale Erbe, sondern auch der vielfältige Widerstand dagegen ließe sich so aufzeigen: „Mir war wichtig, auch diesen Perspektivwechsel auf die Bühne zu bringen: Was hat der schwarze Widerstand gemacht, sowohl in den Kolonien aber auch hier? Wann haben sich schwarze Arbeitskreise, Gruppen, Magazine gegründet?“

Dass Ayivi ihr Stück allein auf die Bühne bringt, sowohl performt als auch Regie führt, ist ein weiterer wichtiger Aspekt von „Performing Back“. Zurück geht diese Entscheidung auch auf ihre Erfahrungen als oft einzige schwarze Schauspielerin und Regisseurin in einer weißen Theaterwelt.

Schwarze Perspektive

„Es ist wichtig, schwarze KünstlerInnen zu sehen, die aus ihrer Perspektive und nicht unter der Anweisung von weißen Regisseuren erzählen und arbeiten“, sagt Ayivi. „Wenn ich all diese Fragen stelle, mich mit Alltagsrassismus beschäftige, muss ich mich auch damit beschäftigen, wer diese Leute sind, die man auf der Bühne sieht.“

Doch selbstbestimmt zu performen und eine eigene Geschichte aus der eigenen Perspektive heraus zu erzählen, ist auch für Ayivi ein Ausprobieren, bei dem sie sich nicht auf das eigene Wissen verlassen kann. Denn auch sie selbst sei im weißen Kontext groß geworden und künstlerisch sozialisiert worden, habe gelernt, für ein weißes Publikum Theater zu machen.

Nicht nur dieses Wissen gelte es nun wieder zu verlernen. Sondern zugleich erst zu lernen, sich selbst auch als Zuschauerin ernst zu nehmen.

Fr, 9.10., + Sa, 10.10.,20.15 Uhr, Lichthof Theater