Wir bauen Tunnel für Tiere

Fehlanreiz Bund und Länder fanden einen Kompromiss auf ihrem Flüchtlingsgipfel. Dafür haben sie kein Lob verdient, meint Ulrich Schulte

Das Sommermärchen für Flüchtlinge in Deutschland war kurz Foto: dpa

Machterhalt

betr.: „Vom Unwort ‚Fehlanreiz‘“, taz vom 26. 9. 15

Für Ulrich Schulte ist es „verblüffend, wie schnell die angeblich rebellischen Grünen in einer Kernfrage zu hasenherzigen Duckmäusern mutieren“. Aus meiner Sicht überhaupt nicht, denn schon mit der früheren Zustimmung der Grünen zur Agenda 2010 mit all ihren gesellschaftlich-sozialen Armutsfolgen haben die Grünen ihre programmatischen Ziele realpolitisch ad absurdum geführt:

Hartz IV ist das krasse Gegenteil eines bedingungslosen Grundeinkommens, welches von Teilen der Grünen nach wie vor gefordert wird. Die zum 1. 1. 2004 erfolgte Abschaffung der Komplettbefreiung bestimmter einkommensschwacher Personengruppen von Zuzahlungen und Eigenanteilen in der gesetzlichen Krankenversicherung widerspricht dem nach wie vor bestehenden programmatischen Anspruch der Grünen nach einer umfassenden Bürgerversicherung im Gesundheitswesen. Und die ebenfalls zum 1. 1. 2004 erfolgte Herausnahme nicht verschreibungspflichtiger Medikamente aus dem Pflichtleistungskatalog aller gesetzlichen Krankenkassen widerspricht der von den Grünen programmatisch nach wie vor ausdrücklich angestrebten Gleichberechtigung von Komplementär- und Schulmedizin im Gesundheitswesen. Sogar ein Arbeitslosengeld-II-, Sozialhilfe- oder Grundsicherungsbezieher muss seitdem 2 Prozent (bei anerkannt chronisch Kranken „nur“ 1 Prozent) seines nicht armutsfesten Jahreseinkommens für Zuzahlungen und Eigenanteile in der gesetzlichen Krankenversicherung aufbringen, ganz zu schweigen von der Nichterstattung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente beziehungsweise diesbezüglich fehlender oder unzureichender Satzungsregelungen vieler gesetzlicher Krankenkassen.

Fazit über den Zustand der Grünen nicht erst seit der jüngsten Verschärfung des Asylrechts: Mehr Schein als Sein – zwecks Machterhalt „um jeden Preis“!

ELGIN FISCHBACH , LEIMEN

Zum Verzweifeln

betr.: „Vom Unwort ‚Fehlanreiz‘“, taz vom 26. 9. 15

Wer bei der Lektüre der Wochenendausgabe den Beitrag von Ulrich Schulte zu dem Wort vom „Fehlanreiz“ übersehen hat, der sollte noch einmal an seinen Papiermüll gehen, ihn rausfischen und lesen. Die Betroffenheit des Autors überträgt sich augenblicklich.

Es ist in der Tat zum Verzweifeln, was da jetzt geschieht. Wir stehen vor einer Katastrophe: Ein Weltkrieg ist im Gange, nicht überall mit roher Gewalt aus Kanonen und aus der Luft. Die Gewalt kommt subtil daher, in Gestalt neoliberaler Globalisierung, in Form von Freihandel und eines allumfassenden Wettbewerbs. Aber die weltweiten Flüchtlingszahlen sind schon ähnlich wie vor 70 Jahren. Das Fass der Armut und Perspektivlosigkeit in den Ländern, die nicht schritthalten können, läuft über, in Afrika, in Mittelasien, in Mittelamerika, ja sogar in Europa.

Diese Not hat der Westen erzeugt und einen weltweiten Hass auf sich gezogen, der in der Geschichte vielleicht ohnegleichen ist. Die westliche Zivilisation, der Kapitalismus hinterlässt verbrannte Erde.

Wo wachsen die Kräfte, die uns eine Alternative zeigen? Wo bleibt unser Verstand, der uns erklärt, dass wir nicht alles für uns behalten können, sondern abgeben müssen zum Wohle aller und uns beschränken. Die Zahl der Kritiker ist groß, der amtierende Papst gehört dazu. Man hört ihm zu, sogar in Amerika. Aber wo fühlen sich einflussreiche Menschen berufen, tätig zu werden und Verantwortung zu übernehmen …

Es ist zum Verzweifeln.

ULRICH VARWIG, Duisburg

Ausgegrenzt

betr.: „Deutschland einfach härter machen“, taz.de vom 25. 9. 15

Ich habe weniger Angst vor Flüchtlingen als vor Flüchtlingsfeinden. Mich wundert das allerdings nicht. Seit Jahrzehnten hält man in Deutschland an einer Gastarbeiter-Politik fest, weil die Mehrheitsgesellschaft keine Einwanderer wollte und will. Aber gerade das Wort „Gastarbeiter“ impliziert doch schon seit Jahrzehnten Ausgrenzung.

Jetzt also Flüchtlinge, die in der Mehrheit aufgrund der menschenverachtenden und aggressiven westlichen Außenpolitik fliehen. Auch hier wird mit Unterstellungen gearbeitet. Ich erinnere einmal daran, wie viele Hunderte von Milliarden haben die Bankenrettungen den Steuerzahler bisher gekostet? Was kostet den Steuerzahler der Betrug mit den Abgaswerten bei der deutschen Automobilindustrie?

Wir bauen Tunnel damit Tiere nicht den gefährlichen Weg über die Straße nehmen müssen, aber wir lassen Boote mit Hunderten von Menschen schlicht und ergreifend im Mittelmeer und anderswo absaufen? Ist das unter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Westen zu verstehen? Theodor W. Adorno hat schon vor einem halben Jahrhundert einen sehr klugen Gedanken zum Thema formuliert: „Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“ HEINO EWERTH, taz.de

Diffamierend

betr.: „Deutschland einfach härter machen“, taz.de vom 25. 9. 15

Einen Augenblick war es so weit, Deutschland hat sich an rechtsstaatliche Prinzipien gehalten und Menschen in Not aufgenommen. Jetzt macht man die Flüchtlinge wieder zu Sündenböcken und diffamiert sie schamlos. Das mit dem Taschengeld ist eine unglaubliche Sauerei. Die „Rechten“ haben wieder die Meinungshoheit übernommen. Schade.

HELMUT JANSCHKE, taz.de

Verfügungsmasse

betr.: „Deutschland einfach härter machen“, taz.de vom 25. 9. 15

Wann checkt ihr endlich, dass alles, was Merkel tut, neoliberaler Zynismus ist? Diese Revolution von oben, die sich mit dem Euro das geeignete Machtinstrument geschaffen hat, um ganze Volkswirtschaften auszuplündern (im Namen eines geeinten Europas), wird auch die Flüchtlinge bloß als Verfügungsmasse wirtschaftlicher Interessen sehen und behandeln. PRODUSTER, taz.de

Räuberbude

betr.: „Deutschland einfach härter machen“, taz.de vom 25. 9. 15

„Etwas Besseres als den Tod finden wir überall.“ War’s der Esel, der das sagte? Und dann trauten sie sich doch in die Räuberbude. TRAUMTÄNZER, taz.de

Kapitalsäcke

betr.: „Deutschland einfach härter machen“, taz.de vom 25. 9. 15

Wenn über „Fehlanreize“ geredet wird, fallen mir nur die Fehlanreize ein, die es einem Politiker schmackhaft machen, nach seiner Amtszeit zu irgendwelchen Lobbyisten zu wechseln.

Fünf Jahre Sperrzeit und Rückzahlung aller Bezüge, die während der Amtszeit kassiert wurden als Strafe bei Nichteinhaltung, das wären die richtigen Anreize, damit Politiker sich weniger um die Kapitalsäcke als um die Sorgen der Bürger kümmern. SPUTNIK1969, taz.de