„Schutzquote massiv gestiegen“

Abschiebung Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist so hoch wie nie. Gleiches gilt für die Schutzquote. Ein Trend, der wohl anhalten wird

Niels Espenhorst

35, ist Sozialwissenschaftler und arbeitet als Referent beim Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e. V., dort leitet er das Projekt Kiwa, das Vormünder und Fachkräfte der Jugendhilfe weiterbildet.

taz: Herr Espenhorst, nach Deutschland kommen gerade so viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie nie. Steigt damit auch die Zahl der Abschiebungen?

Niels Espenhorst: Nein, im Gegenteil, im ersten Quartal 2015 lag die Schutzquote von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen bei 85 Prozent, das ist Rekord. Da setzt sich ein Trend fort. In den letzten Jahren ist die Schutzquote massiv gestiegen.

Woran liegt das?

Zum einen daran, dass über bestimmte Länder zurzeit nicht entschieden wird. Im Augenblick wird vor allem über syrische Flüchtlinge entschieden und da liegt die Anerkennungsquote bei 100 Prozent. Aber die Quote steigt auch bei denjenigen, die aus den Balkanstaaten kommen. Zum anderen hat es bei den Ausländerbehörden ein Umdenken gegeben. Dort hat man erkannt, dass die Jugendlichen nicht nach Lust und Laune fliehen. Grundsätzlich gilt heute: Auch diejenigen, die keinen Schutzstatus erhalten, können hierbleiben. Die Jugendlichen werden gut aufgenommen, gehen in die Schule, und die Jugendbehörden kümmern sich um sie.

Befürchten Sie, dass sich dieser Trend auch wieder umkehrt?

Nein, es ist für die Ämter schwierig geworden, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge abzuschieben. Bei einem Abschiebeverfahren müssen Betreuer und Vormünder Gutachten schreiben, es gibt rechtliche Vertretungen der Minderjährigen und die Familiengerichte reden ein Wort mit.

In Deutschland gab es lange Zeit Kritik daran, dass Flüchtlinge ab 16 Jahren asylrechtlich voll handlungsfähig sind. Gelten die Verbesserungen auch für die minderjährigen Flüchtlinge, die älter als 16 sind?

Die negativen Konsequenzen der Handlungsfähigkeit haben sich in den letzten Jahren minimiert, auch weil das BAMF reagiert hat: Anhörungen finden nur noch statt, wenn der Vormund dabei ist, die Jugendhilfe wird miteinbezogen und Sonderbeauftragte der UN betreuen die Verfahren.

Also wurde die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland umgesetzt?

Zumindest was diesen Punkt angeht. Allerdings haben wir die Befürchtung, dass Geflüchtete erst im erwachsenen Alter ins Asylverfahren kommen, wenn die Handlungsfähigkeit auf 18 Jahre angehoben wird und die 16- und 17-Jährigen nicht mehr eigenständig einen Asylantrag stellen können. Daher müssen wir darauf achten, dass Minderjährige schnell einen Antrag stellen können und nicht warten müssen, bis sie volljährig sind.

Droht trotz der positiven Entwicklungen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen noch die Abschiebehaft?

Statistisch vielleicht nicht. Allerdings kommen einige durch die fehlerhaften Clearingverfahren als Volljährige in den Knast und gehen als Minderjährige wieder heraus, weil man erst im Gefängnis festgestellt hat, dass sie minderjährig sind.

INTERVIEW FABIAN GRIEGER