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Aushandeln will gelernt sein

BEZIEHUNG Mit der Geburt eines Kindes platzen häufig romantische Vorstellungen von Partnerschaft – und Streit ist die Folge. Doch es gibt Wege, Konflikten vorzubeugen

Wird aus einer Zweierkiste eine Dreierbeziehung, ist vonseiten der beteiligten Erwachsenen viel Taktgefühl gefragt Foto: Ute Grabowsky/photothek.net

von JANET WEISHART

Abends entlädt sich die Anspannung: Er ist Arzt und gerade vom Schichtdienst nach Hause gekommen. Sie ist Rechtsanwälten im Mutterschutz und hat soeben den fünf Monate alten gemeinsamen Sohn ins Bettchen gesungen. Nun beginnt der Streit darüber, wer wohl müder sei. Wie so oft.

Das Beispiel, das die Berliner Paartherapeutin Nadja von Saldern schildert, steht für eine Situation nach der Geburt, die viele erleben: „Die Partnerschaft steht auf dem Prüfstand“. Denn das Neugeborene zieht alle Aufmerksamkeit auf sich, während die Partner weniger mitein­ander sprechen und ohnehin kaum mehr Zeit füreinander haben. An das Papa- und Mama-Dasein müssen sich beide erst mal gewöhnen. Auch Bettina Strehlau, Psychologin, Hebamme und systemische Paar­therapeutin aus Berlin-Pankow, sagt aus Erfahrung: „Kinder sind häufig eher paartrennend als -verbindend.“

Eine Studie der University of Denver bestätigt dies. Etwa 90 Prozent der Paare sind demnach nach der Geburt des ersten Kindes mit der Ehe zunächst weniger zufrieden als zuvor. Und im Unterschied zu den 70er Jahren geraten Paare heute häufiger in schwere Krisen. Laut Psychologin Strehlau liege das auch daran, dass Paare aufgrund ihrer Erfahrungen in unserer weitgehend stabilen Gesellschaft verinnerlicht haben, dass „das Leben planbar“ ist. „Nach der Geburt erlebe ich Paare dann oft wie im Schock.“ Denn jedes Baby habe eine eigene Persönlichkeit und sei eben nicht planbar.

Paartherapeutin von Saldern beobachtet in ihren Praxen in Berlin-Charlottenburg und Potsdam bei KlientInnen gelegentlich, „dass sich ,das Ich‘ eines oder beider Partner nach der Geburt auflöst“. Das heißt: Die eigenen Bedürfnisse werden nicht mehr erfragt. Daraus resultieren Stress oder Trauer. „Unbewusst wird dafür ein Schuldiger gesucht.“

Oft wird diese Rolle dann dem Partner zugewiesen, weil er einem am nächsten steht. Saldern, dreifache Mutter, Mediatorin mit Jura-Abschluss und Sexualtherapeutin, versucht Paaren darum klarzumachen: „Es ist normal, was Sie durchmachen.“ Aber es sei in solchen Fällen viel Taktgefühl gefragt: „Die Paarbeziehung ist wie ein rohes Ei. Sie zerbricht schnell, muss gepflegt werden.“ Natürlich schauen Therapeuten dabei auf die spezifische Paarkonstellation, auf die Eltern-Kind-Ebene, auf persönliche Probleme und die Familiengeschichte. Schwierig sei, sagt Psychologin Strehlau, dass das Kinderkriegen heute generell „von großer Naivität und überdimensionalen Wünschen“ geprägt sei, von Ansprüchen, „die oft nicht haltbar sind“. Schwangere gingen zum Schwangerschafts­yoga, werdende Väter zur Geburtsvorbereitung. Alles werde unternommen, damit „bloß alles gut wird“.

Dann kommt häufig die Enttäuschung. Strehlau möchte Eltern helfen, sich von dem hohen Anspruch zu verabschieden und mehr nach dem Motto zu richten: „Schauen wir mal, was auf uns zukommt.“ Denn ein Kind sei „kein Kochrezept“. Sie fragt Paare in der Krise zunächst: Was für Vorstellungen haben Sie von ihrem jeweiligen Partner? Welche Wünsche an ihn? Denn diese haben viele Menschen für sich selbst oft nur unzureichend formuliert. „Ich sehe die Partnerschaft als eine Art Heißluftballon, und in der Therapie ergründen wir gemeinsam, wie er bei jedem Paar gefüllt ist.“

Nur wer die Indivi­dualität des anderen anerkennt, hat eine Chance als Paar

Psychologin Bettina Strehlau

Therapeuten schätzen, dass fast drei Viertel der Paare, die nach der Geburt in eine Beratung kommen, in Beziehungskrisen geraten sind. Darum sei es wichtig, so Strehlau, sich nicht erst „kurz vor 12“ Hilfe zu holen, auch wenn das verständlich sei. Ein Aufschaukeln der Konflikte lasse sich womöglich verhindern, wenn rechtzeitig Kommunikationskompetenzen erlernt werden. Offen über Ängste, Bedürfnisse oder Sexualität reden zu können, ohne vom anderen verbal weggebügelt zu werden, und gemeinsam nach Kompromissen zu suchen sei wichtig.

Auch Paartherapeutin Nadja von Saldern betont, dass Paare, die zusammenbleiben wollen, lernen müssen, sich als Team zu verstehen. Eine ihrer Regeln im Krisenfalle lautet darum: sich dem anderen mindestens zehn Minuten täglich zu widmen, Gefühle auszutauschen, zu fragen: „Wie geht es dir? Und wie mir?“. Dann könne sich auch Intimität wieder entwickeln und wachsen.

Laut Psychologin Strehlau ist dafür allerdings unumgänglich, „sich in den Partner hineinzuversetzen“. Nur wer die Individualität des anderen „anerkennt, hat eine Chance als Paar“. Auch ein „Sich-Weiter-Verabreden“ hält sie für sinnvoll – egal ob zum Essen oder ins Kino. Zudem sollte jedem klar sein: Traditionelle Rollen wollen sowohl Frauen wie Männer nach der Geburt in der Regel nur noch zeitlich begrenzt einnehmen. Das Aushandeln des Gebens, Nehmens und Verzichtens will gelernt und gelebt sein.

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