piwik no script img

Das Ding, das kommtKritik amKasten

Den BESCHEID vom „Beitragsservice“ möchte Konzertagent Berthold Seliger nicht mehr im Briefkasten haben Foto: dpa

Alle drei Monate kommt verlässlich Post aus Köln. Der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio möchte Geld überwiesen bekommen. Berthold Seliger gehört zu den Menschen, die das Ding nicht mehr im Briefkasten haben möchten. Deshalb hat er ein Sachbuch verfasst, in der kommenden Woche erklimmt er nun die Bühnen ehrenwerter Unterhaltungsetablissements, um seine Botschaft zu verkünden.

„I have a stream. Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens“ heißt sein Buch. Der Untertitel klingt etwas aus der Zeit gefallen, weil die Finanzierung durch Gebühren (Geräteabgabe) Anfang 2013 durch ein Beitragsmodell (Haushaltsabgabe) abgeschafft wurde. Ein Buch zur „Abschaffung“ des öffentlich-rechtlichen Fernsehens kommt nicht zur falschen Zeit. ARD und ZDF zu verteidigen, fällt ja nicht leicht, etwa wegen deren plumper Griechenland-Berichterstattung.

Seliger ist kein Medienjournalist, deshalb fallen ihm womöglich Dinge auf, die der Fach­idiot vernachlässigt. Er fragt etwa, warum der NDR den Industriellenclan Agnelli reicher macht, indem er die Firma Brainpool, an der die Familie mittelbar beteiligt ist, ESC-Vorausscheide produzieren lässt. Letztlich weiß Seliger aber doch „zu wenig von seinem Gegenstand oder dessen Entwicklungsgeschichte & wirft Grundsätzliches & Peripheres wüst durcheinander“, wie der Literaturkritiker Wolfram Schütte schreibt.

Von Medienpolitik etwa hat Seliger keinen Schimmer, auch nicht von der Geschichte des Serien-Fernsehens. Und ein obskures neoliberales Gutachten mit dem Titel „Öffentlich-rechtliche Medien – Aufgabe und Finanzierung“, verfasst von einem „wissenschaftlichen Beirat“ des Finanzministeriums, findet den Beifall des linken Autors.

Andererseits: Im Hauptberuf ist Seliger Konzertagent – ein sehr guter! –, und vielleicht wäre, wenn ein Medienjournalist nach einem Crashkurs in Sachen Konzertgeschäft ein Buch über diese Branche geschrieben hätte, auch nur was Mittelgutes herausgekommen.

„I have a stream“ ist immerhin ein hübscher Titel, weil man da an Martin Luther King und Abba denken muss. Es wäre ja einiges gewonnen, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen mehr mit Martin Luther King und Abba zu tun hätte als mit Joachim Gauck und Helene Fischer. Das würden wohl auch viele von denen unterschreiben, die das Ding vom Beitragsservice gern im Kasten haben. René Martens

Berthold Seliger: „I have a stream – Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens“, Edition Tiamat 2015, 304 S., 16 Euro

Kiel: Di, 29. 9., 20 Uhr, Pumpe, Haßstraße 22

Hamburg: 30. 9., 20 Uhr, Pudel, St. Pauli Fischmarkt 27

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen