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Gute Grenzen, schlechte Grenze

Einheitsfeier Frontex an den EU-Außengrenzen postieren, aber „Grenzen überwinden“ als Motto für die nationalistische Inszenierung wählen. Geht’s noch, Schland?

„Unverschämt und zynisch“: Als Motto wäre „Grenzen überwinden“ vielleicht 1990 (o.) okay gewesen Foto: dpa

von Bodo Steffen

Wenn Deutsche Grenzen überwinden, ist das in Deutschland ein Grund zu feiern. Am 3. Oktober jährt sich die Überwindung der innerdeutschen Grenze zum 25. Mal. Anlässlich des Jubiläums ist eine zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit in Frankfurt am Main geplant. Die Stadt verkörpert laut Ministerpräsident Volker Bouffier „das Motto ‚Grenzen überwinden‘ wie kaum eine andere“. Dieses Motto könnte kaum schlechter gewählt sein. Das haben einige politische Organisationen erkannt und rufen unter dem Motto „Was ihr feiert: Ausgrenzung. Armut. Abschottung.“ zu Protesten auf.

Trotz militärisch gesicherter Grenzen gelingt derzeit so vielen Menschen die Flucht nach Europa wie selten zuvor. In Europa produziert das vor allem Unbehagen. Wirtschaftlich schlechter aufgestellte Grenzstaaten sind mit der täglichen Ankunft zehntausender Hilfesuchender überfordert: Es fehlt an nahezu allem Notwendigen. Die Forderung nach der Abschottung der Außengrenzen wird zunehmend in die Tat umgesetzt. In Deutschland hat die Zahl rechter Angriffe auf Geflüchtete und deren Unterkünfte ein beängstigendes Ausmaß erreicht.

Als das Foto eines ertrunkenen Kindes auftaucht und der Umgang mit Flüchtenden an der ungarischen Grenze Schlagzeilen macht, nutzen PolitikerInnen das, um sich gegenüber den Brandherden des Rechtsterrorismus als hilfsbereites, weltoffenes Deutschland zu inszenieren: Menschen dürfen über Ungarn und Österreich frei und ungehindert einreisen. Jene, die aus den Zügen steigen, werden medienwirksam in Empfang genommen.

Deutschland wird nach Griechenlandkrise wieder international für sein Engagement gelobt. Hunderte Menschen organisieren sich ehrenamtlich im Schichtbetrieb und spenden, um die Ankommenden mit dem Nötigsten zu versorgen. Dass staatliche Strukturen dabei vielerorts vollkommen versagen, geht im Jubel über das freundliche Deutschland unter.

Nach wenigen Tagen äußern deutsche Politiker sich bereits verhaltener: Geflüchtete müssten gerecht auf Europa verteilt werden. Es komme jetzt darauf an, „Schleuserbanden das Handwerk zu legen“ und „Fluchtursachen zu bekämpfen“. Dazu: beschleunigte Abschiebeverfahren. In Bayern werden unter Führung von Horst Seehofer „Sonderzentren“ für jene „ohne Bleibeperspektive“ errichtet. Das Schengen-Abkommen wird außer Kraft gesetzt und innereuropäische Grenzkontrollen wieder eingeführt. Schluss mit der Willkommenskultur-Folklore!

Wenn Nichtdeutsche europäische Grenzen überwinden, ist das nämlich kein Grund für zum Feiern, sondern eine politische Krise.

„Hintenherum wird weiter an der Abschottung Europas gearbeitet“

Frederic Wester

„Während Deutschland sich als leuchtendes Vorbild in der Flüchtlingspolitik inszeniert, wird hintenherum weiter an der Abschottung Europas gearbeitet“, sagt Frederic Wester, Sprecher des kommunistischen „. . . ums Ganze!“-Bündnis, das die Proteste gegen die Einheitsfeier in Frankfurt maßgeblich mitorganisiert.

Es stimmt: Noch immer hat die Sicherung der europäischen Außengrenzen Priorität. Das war auch in der DDR so: Je nach Schätzung geht man von bis zu 245 Menschen aus, die der deutschen Mauer zum Opfer fielen – in 28 Jahren. Eine Zahl, die mitunter an den Außengrenzen Europas an einem Tag um ein Vielfaches übertroffen wird. „Jährlich sterben unzählige Menschen durch das europäische Grenzregime. Bewegungsfreiheit gilt – ideologisch wie praktisch – nur dann, wenn es sich lohnt“, heißt es dazu im Aufruf auf grenzen­ueber­winden.de, der Website zur Mobilisierung gegen die Einheitsfeier. Erfahrungsgemäß tritt die Freude über das „wiedervereinigte Deutschland“ im Rahmen der Festmeilen in den Hintergrund. In erster Linie nutzen Bund, Länder und Behörden das Spektakel am Tag der Deutschen Einheit zur Selbstinszenierung. Gefeiert wird hier die Nation, der Standort Deutschland.

Nachdem das Sterben an den Rändern Europas zuletzt jedoch regelmäßig unerwünschte Schlagzeilen produzierte, liegt der Fokus außenpolitisch nun auf der Kooperation mit den Herkunftsländern: Viel Geld soll investiert werden, um auch deren Grenzen sicherer zu machen und die eigene Bevölkerung gefälligst an der Ausreise zu hindern. Andernorts soll also mit europäischen Geldern das erschaffen werden, dessen Überwindung man hierzulande zum Feiertag verklärt hat: abgeschottete Grenzen.

Infos zu den Protesten: www.grenzenueberwinden.de