Bergleute husten unbezahlt

Sie husten seit Jahrzehnten – und klagen trotzdem erfolglos: Wie ein Dortmunder Gerichtsurteil die Hoffnungen tausender nordrhein-westfälischer Bergleute zerstört

RUHR taz ■ Gerd Bollenbachs Lungen rasseln, wenn er Luft holt. Eigentlich rasseln sie immer, sagt er, auch, wenn er den Schleim gerade abgehustet hat. Beim Treppensteigen bleibt der 76-jährige Dortmunder deshalb auf jeder zweiten Stufe stehen und schnappt nach Luft. Chronische Bronchitis sagt sein Arzt. Seit 1984. „Die Zeche hat mich kaputt gemacht“, sagt der Patient. „Ich hatte gehofft, dass sie dafür gerade steht, bevor ich nicht mehr bin.“

Seit gestern glaubt Gerd Bollenbach das nicht mehr - obwohl seine Gerichtsverhandlung vor dem Dortmunder Sozialgericht noch aussteht. Am Dienstag fällten die Dortmunder Sozialrichter ein Grundsatzurteil, das die Hoffnungen tausender nordrhein-westfälischer Bergleute auf Entschädigung für viele Jahre begräbt: Chronische Bronchitis gilt nur dann als Berufskrankheit, wenn die Krankheit nach dem 31. 12. 1992 vom Unfallversicherer anerkannt wurde, entschieden die Dortmunder Richter. Eine derartige Stichtagsregelung verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes. Der 71-jährige Kläger, der wie Gerd Bollenbach seit zwanzig Jahren an chronischer Bronchitis leidet, bekommt damit keine Verletztenrente von der Bergbau-Berufsgenossenschaft.

Ein Urteil, gegen das die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) so schnell wie möglich vorgehen will. „Wir klagen uns bis zum Bundesverfassungsgericht“, sagt Ansgar Claes von der Rechtsabteilung der nordrhein-westfälischen IGBCE. „Es ist ein Skandal, dass eine derart große Gruppe kranker Menschen ohne Entschädigung leidet.“

Chronische Bronchitis gilt erst seit 1997 als Berufskrankheit, als Versicherungsfall anerkannt werden Fälle ab 1993. Die meisten Erkrankungen liegen jedoch deutlich länger zurück. „In den 50er und 60er Jahre gab es im Bergbau überhaupt keine Schutzvorkehrungen gegen den Kohlenstaub“, sagt Claes. „Damals haben sich Tausende ihre Lungen ruiniert und gerade die kriegen kein Geld.“ Dass sich der Staub in den Lungen ablagert und deutlich sichtbare Schwellungen verursacht, erkannten Mediziner schnell. Dass Feinstäube auf die Dauer die Bronchien reizen können, permanent Schleim zu produzieren, ist erst seit 1994 medizinischer Konsens.

„Seit den 90ern erkranken so gut wie keine Bergleute mehr an chronischer Bronchitis“, sagt Ansgar Claes. „Aufgrund solcher Gerichtsurteile sparen die Unfallversicherer Millionen ein, denn chronische Bronchitis ist oft unheilbar.“ Die Bergbau-Gewerkschaft bearbeitet die Fälle von mehr als 3.500 nordrhein-westfälischen Bergleuten mit chronischer Bronchitis, die nach dieser Rechtssprechung keine Entschädigung bekommen. „Wer vor dem Stichtag mit der Diagnose Bronchitis Forderungen an die Berufsgenossenschaft gestellt hat, hat keine Chance“, sagt Claes. „Das ist eine eindeutige Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer.“

Doch selbst wenn das Verfassungsgericht das auch so sieht, „bis zu einem Urteil werden noch mehrere Jahren vergehen“, sagt Claes. „Und dann sind die meisten Betroffenen schon tot.“

Arbeitsrechtler der Universität Frankfurt beschreiben die gesamte rechtliche Situation von durch ihren Beruf erkrankten Menschen in Deutschland als „untragbar.“ Eine umfassende rechtswissenschaftliche Studie kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass in der Regel nur die Krankheiten als Berufskrankheit anerkannt werden, bei denen „kein großer Ansturm auf die Sozialkassen mehr zu erwarten ist.“ Es würden wenig Geld in die Arbeitsmedizin investiert, so dass sie nur zu stark Zeit verzögerten Ergebnissen kommen. Um in der von der Bundesregierung erstellten Berufskrankheiten-Liste aufzutauchen, muss eine Krankheit wissenschaftlich erforscht sein.

MIRIAM BUNJES