Die Welt zergrübeln

Das Schauspielhaus zeigt Hans Henny Jahnns „Die Krönung Richard III.“ Wir sprachen mit der Dramaturgin Nicola Bramkamp

Interview: Christian T. Schön

taz:Was fesselt Sie an Hans Henny Jahnns „Richard III.“?

Nicola Bramkamp: Die meisten kennen Richard III. als entstellten Bösewicht, wie er bei Shakespeare auftritt. Hans Henny Jahnn dagegen wirft einen Blick in sein Inneres. Er beschreibt eine Schreckenskammer menschlicher Abgründe. Es herrscht maßlose Gewalt an Richards Hof: Mord, Kastration, Folter, Kannibalismus. Richard selbst ist ein Zergrübelter, der sich mit dem Grauen, der Welt und den Geistern der Toten auseinander setzt. Dabei ist in Jahnns Sprache jeder Satz in einem Ton komponiert, der es den Schauspielern von der Atemführung her nicht leicht macht, den Text zu sprechen.

Was unterscheidet Jahnns „Richard“ von dem Shakespeares?

Jahnns Richard ist kein reiner Bösewicht, sondern ein gedankenzerfaserter Verwirrter, der einen Kosmos ohne moralische Regeln erschafft. Die ihn umgebende Welt ist aus den Fugen, paranoid und egozentrisch. Das Fressen schlägt in Kannibalismus um, der Sex in Kastration, die Gier in Töten.

Die Inszenierung endet also wie bei Shakespeare: Richard steckt bis zum Hals in Blut, und alle sind tot?

Fast. Alle sterben, aber ohne Blutvergießen, denn die Leiber der Toten müssen – wie Richard glaubt – unverletzt bleiben, damit sie nicht auferstehen. Um seine Machtposition zu sichern, muss er die rechtmäßigen Erben, Elisabeths Söhne, vernichten. Er tötet allerdings nicht, ohne sich einer höheren Instanz zu stellen: „Wenn Gott das Leben schirmen will, würde ich nicht töten können.“ Seine absurde Konsequenz aus diesem Dilemma ist es, eine Frist von zwei Tagen einzuräumen, damit Gott, wenn er denn will, den Mord (an den Prinzen) verhindern kann.

Wandelt sich Jahnns Richard während des Stückes?

Erstaunlicherweise ja. Zum Titel gehört ja auch die „Krönung“. Und um die Krönung herum das Vorher und Nachher. Macht spielt für Richard nur eine marginale Rolle. Er will als König Seelenruhe finden und seine eigene Wertvorstellung, eine Mischung aus Voodoo und Christentum, etablieren. Doch als er König ist, wendet sich das Bild: Um seine Position zu behalten, muss er agieren – und seine politischen Gegner ausschalten. In diese Zwickmühle hat er sich manövriert. „Sie haben ein politisches Tier aus mir gemacht“, ruft er dem Rat entgegen, der ihn zum Handeln zwingt. Die Realpolitik macht ihn aber auch müde und kraftlos. Und aus diesem Schlaf entspringt der eigentliche Kosmos: „Meine Träume sind so wirklich wie das Leben.“ Ein verzweifelter Richard.

Warum wird Jahnns „Krönung Richards III“ erst jetzt erstmals in Hamburg aufgeführt?

Hans Henny Jahnns Dramen sind immer eine Überforderung. Lang, thematisch orgiastisch, sprachlich explizit. Es geht immer um das Mysterium von Lust und Qual. Allerdings taucht das Stück in keinem Schauspielführer auf, und das hat zur Folge, dass es in keinem Spielplan landet. Es wurde erst wenige Male gespielt, die letzte Inszenierung von Bedeutung war 1978 in Bremen.

Hans Henny Jahnn, der „vergessene“ Sohn der Stadt, wird jetzt also endlich gewürdigt?

„Vergessen“ stimmt. Er hat zwar früh den Kleist- und Lessing-Preis bekommen, und Gustav Gründgens hat hier 1928 und 1948 zwei Stücke von ihm inszeniert, aber von seiner Vaterstadt einhellig gefeiert wurde Jahnn nie.

Premiere: Do, 3.11., 19.30 Uhr, Schauspielhaus. Weitere Aufführungen: 10., 18., 24.11.