Berlinmusik

Unbedingt unzeitgemäß

„Berline“ hat Mélinée ihr Album genannt, nach ihrer Wahlheimat. Sie hat sich vor eine hauptstadttypische Brandmauer gestellt, um sich fürs Cover fotografieren zu lassen, und Lieder geschrieben, die „Fernsehturm“ heißen oder „Berlin en berne“, was übrigens so viel heißt wie „Berlin auf Halbmast“. Sie erzählt von der Stadt und von der Liebe, die sie hierher gebracht hat, sie schwärmt von der Spree als Ornament, erinnert sich wehmütig ans Tacheles und singt von Vierteln, die sich verändern, und von den Menschen, die es in die Stadt gezogen hat wie sie selbst. Der Sängerin aus Toulouse, die seit 2010 in Berlin lebt, ist ein stimmungsvolles, liebevolles und zugegebenermaßen nicht immer klischeefreies Porträt ihres neuen Zuhauses gelungen.

Allerdings: Abgesehen vom Text hat sich der Ortswechsel kaum hörbar niedergeschlagen. Mélinées „Berline“ klingt doch sehr französisch. Ihre gefühlvollen Chansons stehen ungebrochen in der Tradition der großen Namen ihrer Heimat und besitzen diese sehr spezielle, mondäne Melancholie, die effektvoll untermalt wird von Schifferklavier und Cello. Erst im letzten Drittel des Albums kommen harschere Klänge zum Einsatz, eine elektrische Gitarre bahnt sich dann schon mal ihren Weg durch die heimelige Cafe-au-lait-Stimmung. Zeitgemäß, gar die elektronische Identität der Stadt registrierend klingt das immer noch nicht, aber das verzeiht man Mélinée gern angesichts der schönen Liebeserklärung im einzigen deutschsprachigen Stück: „Ich will, dass es deutsch in mir brennt.“

Auch nicht eben der Moderne auf der Spur sind Alles/Gut. Eher schon forscht das Berliner Duo nach den antiken Grundlagen des Songwriting. Susan Pawlak, einst Sängerin bei Trikot, und Olaf Langner, früher Gitarrist bei der noch weniger bekannten Band Superleutnant, haben sich für ihre Debüt-EP „ILD“ absichtlich aufs Nötigste reduziert. Stimme und Akustikgitarre, das muss meist genügen. Als Farbtupfer kommen Bratsche und singende Säge zum Einsatz, aber grundsätzlich geht es darum, dass Pawlaks Gesang viel Platz eingeräumt wird, wenn sie mit leicht angerauter, aber doch ätherischer Stimme davon singt, wie etwas zu Ende geht, oder davon, wie etwas anderes beginnt. Auch von „Zuhause“ singen Alles/Gut, aber diese Heimat ist nicht Berlin, auch keine Stadt, sondern eine Liebesbeziehung.

Melinee: „Berline“ (Timezone), Record-Release-Konzert am 18. 9. im Hangar 49

Alles/Gut: „ILD“ (Hey!Acoustics), Record-Release-Konzert am 17. 9. im Cafe Wendel