Eine Zukunft für Future

Österreich In Perchtoldsdorf richteten die Osmanen 1683 ein Blutbad an. Dort Flüchtlinge aufzunehmen, flößte anfangs einigen Bürgern Angst ein – heute engagieren sie sich vorbildlich

Das Asylgesetz 2005 sieht nach Feststellung der Zuständigkeit die individuelle Prüfung der Asylgründe vor. Grundlage ist die Genfer Flüchtlingskonvention. Durch eine Novelle von Juli werden subsidiär Schutzberechtigte den Asylberechtigten weitgehend gleichgestellt. Es handelt sich um Personen, die in ihr Heimatland nicht abgeschoben werden können. Das trifft auf die meisten Bürgerkriegsländer zu. Wer einen negativen Asylbescheid erhält, dem wird die freiwillige Ausreise nahegelegt. Denn eine Abschiebung ist mit einem Einreiseverbot verbunden. Wer Asyl erhält, darf auch arbeiten und hat Anspruch auf Sozialleistungen. (rld)

PERCHTOLDSDORF taz | Als Linda im April ihr Baby in einem Wiener Krankenhaus zur Welt brachte, gab sie ihm einen programmatischen Namen: Future. Der Junge sitzt auf Lindas Arm, wenn die Mutter im Pfarrhof von Perchtoldsdorf ihre Deutschlektionen wiederholt. Die Nigerianerin ist vor einem Jahr aus einem Dorf im Norden ihres Heimatlandes geflohen, wo die Terrormiliz Boko Haram wütet. Seit drei Monaten hat sie eine neue Heimat, in der sie auf einen positiven Asylbescheid wartet. Sie wohnt mit Future bei einer Frau, die ein Zimmer frei hatte.

Österreichs Erstaufnahmelager platzen aus allen Nähten. Aber aus bürokratischen Gründen wird die Unterbringung in Privatquartieren erschwert. Bürgermeister reagieren zumeist abwehrend.

Der Heilpädagogin Inge Schedler war das zu blöd. Schon vor Weihnachten war ihr klar, dass bald mehr Flüchtlinge ins Land kommen würden: „Ich konnte nicht mehr wegschauen.“ Sie rief den Bürgermeister von der konservativen ÖVP an und fragte ihn, warum Perchtoldsdorf noch keine Flüchtlinge aufgenommen habe. Die Gemeinde hätte keinen passenden öffentlichen Raum, habe er geantwortet. Also tat sich Inge Schedler mit einer Freundin zusammen und lud im Januar zu einer Informationsveranstaltung ein. Zuerst traf sie auf Skepsis und Widerstand. Rabiate Querschüsse kamen von der lokalen FPÖ über eine Facebook-Gruppe gegen Flüchtlinge. Doch wider Erwarten wurde das Treffen ein großer Erfolg. „Wir haben mit 20 Leuten gerechnet und es kamen 120“, sagt Schedler. 70 Personen boten spontan ein Quartier an, andere wollten Deutschunterricht erteilen, Kinder betreuen oder Flüchtlinge bei Behördenwegen begleiten.

Perchtoldsdorf ist eine äußerst konservative 15.000-Einwohner-Gemeinde im Speckgürtel Wiens, bekannt für den guten Wein und das Sommertheater in der mittelalterlichen Burg. Während der Wiener Türkenbelagerung 1683 verwüsteten die Osmanen den Ort und richteten auf dem Marktplatz ein Blutbad an. Die Angst vor Muslimen sitzt auch heute bei vielen noch tief.

Dass jetzt Kriegsflüchtlinge aus dem arabischen Raum kommen würden, flößte manchen Angst ein. Doch schon die Ankunft der ersten zwei syrischen Familien im Februar habe viel bewirkt, erzählt Schedler. Die Gastfreundschaft der Menschen aus dem anderen Kulturkreis sei überwältigend. Man könne ihnen keinen Brief bringen, ohne zumindest zum Kaffee eingeladen zu werden. Gleichzeitig fänden die Frauen Gefallen an der österreichischen Lebensart. „Dass Frauen miteinander ins Kaffeehaus gehen, finden sie toll“, sagt Inge Schedler, die sich Vollzeit ehrenamtlich der Koordination der Flüchtlingshilfe widmet. Manche Frauen würden sogar überlegen, das Kopftuch abzulegen.

Bei einem Willkommensfest im April haben die Flüchtlinge für 220 Perchtoldsdorfer gekocht. Einige Männer werden jetzt als Schülerlotsen eingesetzt und damit im öffentlichen Raum positiv wahrgenommen. Auch das hilft beim Abbau von Vorurteilen und Berührungsängsten. Insgesamt werden inzwischen um die 70 Flüchtlinge in Perchtoldsdorf be­treut. Die meisten nehmen auch am Deutsch­unterricht teil, der werktags im Pfarrheim angeboten wird. Über zwei Dutzend Lehrerinnen und Lehrer stehen zur Verfügung. Die pensionierte Englischlehrerin Gertraud Muraoka hat ihre Russischkenntnisse aufgefrischt, um eine Tschetschenin zu unterrichten. Der Erwachsenenbilder Albert Hirl leitet einen Anfängerkurs. Von Frauen, die nicht mal in der eigenen Sprache alphabetisiert sind, bis zu Akademikern reicht das Spektrum. Deswegen müssen mehrere Gruppen gleichzeitig betreut werden. Unterrichtsmaterial in Arabisch und Farsi kann man im Internet gratis herunterladen. Gratis Kopieren darf die Initiative im Rathaus und im Pfarrheim. Mit anderen Beiträgen halten sich Kirche und Gemeinde zurück.

„Der Bürgermeister hat uns lange zugeschaut“, sagt Hirl, der bei den lokalen Grünen aktiv ist: „jetzt ist er auf den fahrenden Zug aufgesprungen.“ Er hat die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden zu einem Koordinationstreffen geladen. Die Flüchtlingsinitiative strahlt bereits eine Vorbildwirkung aus. Vor allem seit Perchtoldsdorf von der Tageszeitung Kurier zur Integrationsgemeinde 2015 gewählt wurde. Wenn es nach all den Freiwilligen geht, dann hat auch Future eine Zukunft in Österreich. Ralf Leonhard