Vom Überleben in der Grauzone

Niederlande Aktivisten unterstützen seit drei Jahren eine Gruppe abgelehnter Asylbewerber

Zuständig für die Asylprozedur und Aufenthaltstitel von Migranten ist der Immigrations- und Naturalisierungsdienst (IND). Seit der Reform der Ausländergesetzgebung von 2000/2001 sind die früheren unterschiedlichen Aufenthaltskategorien für Flüchtlinge zusammengefasst als „Befristete Genehmigung Asyl”. Nach fünf Jahren kann diese unbefristet erteilt werden. Zusätzlich kann für Menschen aus Kriegsgebieten mit einem einjährigen Moratorium eine Art Schutzfrist beschlossen werden, bevor über ihren Status ent­schieden wird. (tm)

AMSTERDAM taz | Auch im Nichts wird Geburtstag gefeiert. Sogar ziemlich ausgelassen, denn nachdem die Ansprachen derer, die im Nichts und mit Nichts überleben, vorbei sind, wird die Musik laut und Menschen aus Asien, Europa und Afrika stoßen mit Saft und Cola an. An den Wänden hängen die Banner, darauf nicht mehr als jene drei Wörter, die dem Nichts trotzen: „Wij Zijn Hier“. Auch wenn es dafür keinen offiziellen Status gibt.

Das Nichts ist eine rechtliche Grauzone, in der etwa 100 Migranten in Amsterdam gelandet sind. Abgelehnt als Asylbewerber, weder ein Recht zum Arbeiten noch Zugang zu Leistungen, nicht einmal abgeschoben werden können sie, weil sie keine Dokumente haben oder es im Herkunftsland keine funktionierenden Behörden mehr gibt. „Zwischen Schiff und Land“, nennt man das auf Niederländisch.

Im September 2012 traten sie erstmals mit einem Zeltlager an die Öffentlichkeit. Im September 2015 begehen Migranten und ihre Unterstützer den dritten Jahrestag. Dazwischen liegt eine unvorstellbare Odyssee durch Amsterdam. Vom Garten der Diakonie ging es in ein Zeltlager am Stadtrand. Den ersten Winter verbrachte man in einer leerstehenden Kirche, die als Vluchtkerk bekannt wurde, fand Unterschlupf in besetzten Bürogebäuden, einer Garage, einer Schule, einem Turm und einem Lagerhaus. Immer war die Lösung vorübergehend, die drohende Räumung wurde zum Normalzustand – auch im aktuellen Zufluchtsort in einer früheren Kunstakademie.

Zentrales Motiv der Migranten ist es, die Gruppe zusammenzuhalten – nicht nur, um einander stützen zu können, sondern auch, um die Problematik in der Öffentlichkeit wachzuhalten. Dazu war man von Beginn an auf ein Netzwerk von Unterstützern angewiesen, das von Hausbesetzern über No-­Border-Aktivisten bis hin zu Privatpersonen reicht: Nachbarn, Handwerker, Publizisten, die bei Aufrufen und Pamphleten helfen, Anwälte, Ärzte und Künstler. Periodisch erfuhr „Wij Zijn Hier“ eine spontane Welle der Hilfsbereitschaft. Um das tägliche (Über-)Leben der Gruppe kümmern sich rund 80 Freiwillige. Sie organisieren Essen, werben um Spenden oder organisieren Busse, die die Matratzen von einem Zufluchtsort zum nächsten bringen. Auch ein Buddy-Netzwerk erhalten sie aufrecht, das jedem Migranten einen Freiwilligen zur Seite stellt, um eine neue Asylprozedur in Gang zu bringen oder einen geeigneten Anwalt zu finden.

Eine andere Art der Unterstützung leistet die Stiftung „Here to Support“. Sie will die Migranten und ihr Anliegen in der Öffentlichkeit noch sichtbarer machen. Dazu bedient sie sich Kunstprojekten oder einer „We Are Here Academy“, wo professionelle Dozenten unentgeltlich Seminare veranstalten. Diese behandeln niederländische Politik, emanzipatorische Bewegungen und Asylrecht. „Es geht darum, dass sich Migranten ihrer Situation bewusst werden, und sie darin zu bestärken“, erklärt eine Aktivistin. „Diese Gruppe von Flüchtlingen hat keinen Zugang zu Bildung, Arbeit oder Essen, und wenn sie in der Öffentlichkeit ein Camp veranstalten, werden sie geräumt. Dabei muss dieser Protest gerade sichtbar gemacht werden.“ TOBIAS MÜLLER